14.01.2022

Ohren ohne Grenzen

Im Hinterland der Algarve, abseits der Touristenhochburgen, wird es schnell ruhig und beschaulich. Hier lebt Sofia von Mentzingen auf ihrer Farm und bietet Wanderungen mit Eseln an.

Ohren ohne Grenzen

Die Hofhunde bellen – und schwänzeln kurz darauf schon vertraut und neugierig um die Besucher herum. Julia und Max aus München sind von ihrem Badehotel in Lagos aus eine 3/4 Stunde mit dem Mietwagen zu Sofias Eselschutzhof bei Aljezur gefahren. Sie hatten im Internet von den Eselwanderungen gelesen und waren sofort Feuer und Flamme: Julia, weil sie schon länger eine Wanderung mit Alpakas oder Eseln unternehmen wollte, Max, weil er über eine Abwechslung zu Pool und Strand ganz froh war.

Sofia stellt den beiden die Eselherde vor und sie dürfen sich zwei Wegbegleiter aussuchen. Ihre Wahl fällt auf Mel und Mila, eine Eselin und ihre Tochter. Sofia lädt ihre Gäste ein, die Esel erst einmal ein wenig zu striegeln und zu streicheln, um Vertrauen zwischen Tier und Mensch aufzubauen. Dann zeigt sie ihnen, wie man Esel einen Sattel anlegt, sie bepackt und führt. Mel und Mila halten still, sie kennen das Ritual.

Über Stock und Stein

Nach dieser Aufwärmphase geht es los. Eine siebenstündige Wanderung zur Costa Vicentina steht auf dem Programm. Sofia begleitet die beiden. Während es in gemächlichem Tempo Richtung Küste geht, erzählt sie von den Langohren, von ihrem Projekt, aber auch von der Flora und Fauna am Wegesrand. Sie zeigt auf Erdbeersträucher, Wacholder und Zistrosen, lässt ihre Gäste an wildem Thymian schnuppern, weist sie auf Eidechsen und seltene Vögel hin. Immer einmal wieder gibt es kleine Unterbrechungen, weil die Esel am Wegrand Kräuter rupfen – unwiderstehlich! Schließlich kommt das Meer in Sicht und es geht zum Strand Amoreira, der sich am Mündungsdelta des Aljezur-Flusses erstreckt. Ein langer Sandstrand, zwei Restaurants, eine Surfschule, wenig Touristen – und atemberaubende Blicke auf das Meer und die Steilküste. Typisch Costa Vicentina!

Wilde Küste

An der westlichen Algarve rollt der Atlantik rau und ungestüm gegen das Land. Es gibt herrliche Strände und von Felsen geschützte Buchten, aber es ist deutlich weniger los als an den Stränden im Süden zwischen Lagos, Albufeira und Faro. Hierher kommen die Badetouristen, die das Bad im kühlem Atlantik wie auch den vorherrschenden Nordwest-Wind nicht scheuen, und diejenigen, die die Nähe zur Natur suchen. Magisch angezogen werden auch die Surfer, die sich über die riesigen Wellen freuen. Das Gebiet ist Teil des Naturparks Südwest-Alentejo und Costa Vicentina, der sich entlang der Atlantikküste über eine Länge von 80 km erstreckt. Das Naturschutzgebiet ist Heimat von Weißstörchen, die ihre Nester in die Küstenfelsen bauen. Und Fischotter behaupten hier einen ihrer letzten natürlichen Lebensräume am Meer in ganz Europa.

Nach einer ausgedehnten Picknickpause am Strand geht es wieder zurück auf Sofias Farm. Als die Wandergruppe am Hof eintrifft, fällt es Julia schwer, sich von den Eseln zu trennen. Sie sind ihr richtig ans Herz gewachsen. Und auch Max hat’s gefallen. Julia spinnt schon Pläne für den nächsten Urlaub. „Dann könnten wir doch gleich ein paar Tage mit den Eseln wandern.“ An Sofia jedenfalls würde es nicht scheitern. Sie bietet auch mehrtägige Wandertouren mit ihren Eseln an – mit Übernachtung, mit oder ohne Tourbegleitung.

Von der Kulturmanagerin zur Eselflüsterin

Ihre Leidenschaft für Esel, erzählt Sofia von Mentzingen, hat sich erst spät entwickelt. „Ich habe ja lange Zeit in Deutschland gelebt, dort erst als Kinderkrankenschwester gearbeitet, dann angewandte Kulturwissenschaften studiert, war Pressereferentin eines Musikfestivals und Programmgestalterin in einem Kulturamt – bis ich nach meiner Scheidung beschloss, meine Eltern zu besuchen, die sich nach der Frühpensionierung einen verlassenen Bauernhof an der Algarve gekauft hatten – und blieb. Die Entscheidung ist mir auch deshalb nicht  schwer gefallen, weil wir früher schon ein paar Jahre in Lissabon gelebt hatten und ich als Jugendliche dort zur Schule gegangen bin und deshalb Portugiesisch sprechen konnte. Jetzt lebe ich bereits fast zwanzig Jahre hier und mit gefällt’s noch immer.“

Der Eselschutzhof „burros & artes“ (Esel & Kunst) liegt vier Kilometer nordöstlich der Kleinstadt Aljezur und nur 20 Autominuten von der Küste entfernt. Hier leben Sofia, ihre Eltern und nicht selten Volontäre, die sich mit um die Tiere kümmern. Tagsüber wechseln sich  einige zusätzliche Mitarbeiterinnen stundenweise ab, vor allem zwischen Ostern und Ende Oktober. Und Sofias Freundin und Projektpartnerin Elsa bietet Töpfer-Workshops an, auch kombiniert mit kleinen Esel-Wandertouren.

„Der erste Esel kam (wie auch ich) 2003 auf unseren Hof, den hatte meine Mutter gekauft. Ich fand das erst einmal gar nicht so gut, aber dann habe ich mich in die Esel regelrecht verliebt und mittlerweile leben 17 Esel auf dem Hof. Ich bin Gründungsmitglied des Eselvereins ‚Ohren ohne Grenzen‘ und seit 2009 biete ich offiziell Eselwanderungen an. Das läuft gut. Wir sind hier zwar im Hinterland, etwas abseits der Küste, aber durch Werbung im Internet, Erwähnungen in Reiseführern, Kooperationen mit Hotels und ausländischen Reisebüros kommen immer genügend Gäste, die mal mit einem Esel auf Wanderschaft gehen wollen.“

Esel zu halten, so berichtet die 56-Jährige weiter, genießt in Portugal eine lange Tradition. Früher gab es fast auf jedem Bauernhof einen, der als Arbeitstier und Lastenträger gebraucht wurde. Mittlerweile haben Autos und Traktoren die Arbeit der Esel übernommen. Gleichzeitig ist ein jüngeres Phänomen zu beobachten: Esel werden zunehmend als Haustier zum Zeitvertreib für Kinder auf Ferien-Gasthöfen gehalten. Die Halter haben selten Kenntnisse über Eselhaltung wie es ihnen meist auch an der Zeit fehlt, um sich mit den Tieren ausreichend zu beschäftigen.

Sofia von Mentzingen (rechts) und Töpferin Elsa unterwegs mit ihren Eseln.

Alte Bauern und Esel

„In den letzten 20 bis 30 Jahren wechselten hier sehr viele Bauernhöfe den Besitzer“, sagt Sofia. „Die Bauern gingen in die Stadt, oft in ein Altenheim, die Höfe wurden an Leute aus dem Norden oder dem Ausland als Feriendomizile verkauft oder an jüngere Leute, die zum Beispiel eine Surfbase an der Küste betreiben oder ein Retreat einrichten – und übrig blieben die Esel.“

Da sie den neuen Besitzern nicht sonderlich wichtig sind und falsch behandelt werden, werden sie häufig aggressiv und abweisend oder schreckhaft, was den Umgang mit Ihnen oft schwierig macht. Die Halter geben überfordert auf und trennen sich von ihnen.

Auf dem Hof sind von Anfang an alle Tiere willkommen, die niemand mehr halten kann oder möchte. Im Moment gibt es hier vier Seniorenesel: Romano, Mocca, Jeco und Emil. Sie gehen nur noch in Ausnahmefällen mit Touristen auf Wanderungen, ansonsten dürfen sie hier ihren Lebensabend genießen und werden besonders verwöhnt.

Der Eselhof von Sofia von Mentzingen.

Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der – Esel

Für ihre Esel sucht Sofia Menschen, die eine Patenschaft übernehmen oder sich unentgeltlich um sie kümmern. So wie Gabriele Lieberknecht aus Stuttgart: „Ich war 2018 mit meinem Mann in Aljezur im Urlaub und hatte einen Flyer von Sofias Eselhof gesehen. Da dachte ich mir, ich fahre vorbei und schaue mir mal an, ob die ganzen Vorurteile über Esel – störrisch und träge zutreffen. Und dann habe ich Bekanntschaft mit der Eseldame Margarida gemacht und war sofort hin und weg.“

Gabriele besucht seither jedes Jahr den Eselhof – 2021 blieb sie sogar für zwei Monate. Sie kümmert sich jeden Vormittag zwei Stunden speziell um die betagten Tiere, bürstet, massiert und krault sie. Nachmittags geht es dann mit ihrem Mann an den Strand oder zum Sightseeing.

„Wenn ich meine Esel mit Bürste und Händen versorgt und mit ihnen gesprochen habe, geht es den Tieren spürbar besser – und mir auch. Esel sind ganz anders als man denkt. Es sind sehr sensible Tiere, die einem mit einem kleinen Schubs oder indem sie einem den Kopf auf die Schulter legen, genau zu verstehen geben können, was sie mögen und was sie brauchen. Es sind sehr ruhige, besonnene Tiere, deren Haltung sich auf einen selbst überträgt. Man wird ebenfalls ruhiger, zufriedener und glücklicher“, schwärmt sie.

Sofia kann das nur bestätigen. „Ich biete nicht nur Eselwanderungen an. Uns besuchen auch Kindergärten oder Altenheime und ich bin jedes Mal glücklich darüber, wenn ich sehe, was für eine Freude das den Kindern und Senioren macht. Und wir bieten mit den Eseln sogar Coachings an. Man sieht, Esel geben jedem etwas!“

Außerdem wissenswert

Sofia von Mentzingen bietet eineinhalb- bis siebenstündige begleitete Tageswanderungen mit ihren Eseln an. Wer möchte, kann auch zwei- bis zehntägige Touren mit ihren Eseln an der Costa Vicentina unternehmen, begleitet und  unbegleitet. Bei letzterem werden die Wanderer ausführlich in die „Handhabung“ der Esel eingewiesen und haben natürlich auch ein Handy-Backup.

Auf der Studiosus-Reise „Algarve – aktiv erleben“ wandern die Gäste am dritten Tag vier Stunden mit Sofia und ihren Eseln zur Costa Vicentina.

Sofia von Mentzingen sucht Patenschaften und Volontäre für ihre Esel. Informationen gibt es hier:  https://www.burrosartes.com

Außer Eselwanderungen hat Sofia von Mentzingen weitere Tipps für Touristen: „Ich bin gerne in den Monchique-Bergen unterwegs und steige zum Beispiel auf den Picota, den zweithöchsten Berg der Algarve. Ein fast magischer Flecken Erde ist der Schirmpinienwald bei Bordeira an der Küste. Und auch ein Ausflug in die Stadt Aljezur lohnt sich, wo es zum Beispiel ein interessantes Stadtmuseum mit einer alten Bauernstube gibt.“

Aljezur wird von einer alten Maurenburg aus dem 10. Jahrhundert überragt.