19.11.2021

Im Bann des Ätna

Einheimische, Touristen, Wissenschaftler, Abenteurer – auf jeden übt der höchste und aktivste Vulkan Europas eine ganz eigene Faszination aus. Aber kaum jemand ist dem Berg so verfallen wie National-Geographic-Fotograf Carsten Peter.

Im Bann des Ätna

Sizilien ohne den Ätna? Undenkbar! Der Vulkankegel ist von fast jedem Punkt im Osten der Insel, ja sogar vom italienischen Festland aus zu sehen. Wie von selbst schiebt er sich in den Hintergrund aller Fotos, ist als Kulisse omnipräsent. Fast ein bisschen vorlaut – aber immer beeindruckend.

„Mongibello“, schöner Berg, nennen ihn die Einheimischen. Und sie verdanken dem Vulkan nicht nur atemberaubende Aussichten, sondern viel, viel mehr: Die Lava macht die Böden mineralhaltig und fruchtbar und lässt Weinreben, Mandel- und Olivenbäume, Orangen- und Zitronenbäume um die Wette wachsen. Das Vulkangestein dient als Baumaterial – in den Dörfern, aber auch in Catania, der „schwarzen Stadt“,  wo viele Paläste und Häuser aus Lavastein erbaut wurden. Und der Ätna zieht alljährlich Millionen von Touristen an. Die meisten bewundern ihn aus sicherer Entfernung, freuen sich über seine Kegelform, seine oft von Schnee bedeckte, weiß leuchtende Spitze und die manchmal über seinem Gipfel stehende Rauchsäule. Seit Juni 2013 ist der Ätna wegen seiner kulturellen, wissenschaftlichen und geologischen Bedeutung sogar UNESCO-Welterbe.

Man kann den Feuerberg mit der Circumetnea, einer sich um seinen Fuß herum schlängelnden Schmalspurbahn erkunden. Wer näher ran an die Krater möchte, fährt auf gewundener Straße den Südhang hoch bis zur Berghütte Refugio Sapienza in 1900 Metern Höhe. Von hier aus bringen eine Seilbahn und geländegängige Minibusse Touristen bis auf rund 2800 Meter Höhe. Mit ausgebildeten Bergführern können Mutige dann die wüsten Lavalandschaften erkunden – wenn der Ätna nicht wie im Moment sehr aktiv ist.

Für die Einheimischen bedeutet der Berg also Nahrung, Einkommen und ein Dach über dem Kopf – aber auch eine latente Bedrohung –, für die Touristen ist er ein imposantes Fotomodell, und für manche Menschen ist er ein echter Schicksalsberg. Zu ihnen gehört Carsten Peter, Biologe, Filmemacher, Fotograf und Expeditionsleiter. Neben Höhlen und Tornados ist der Extremfotograf vor allem auf Vulkane spezialisiert. Für National Geographic und viele andere Zeitschriften hat er Vulkanlandschaften und Vulkanausbrüche in aller Welt fotografiert – vom Kilauea in Hawaii über den Krakatau in Indonesien bis zum Mount Erebus in der Antarktis. Aber der Vulkan, der ihn am meisten beschäftigt und den er immer wieder besucht, ist der Ätna.

Vulkanfotograf Carsten Peter in Aktion. Foto: Carsten Peter

„Mit 15 Jahren hatte ich meinen Eltern vorgeschlagen, Urlaub auf Sizilien zu machen – schon damals war ich von Vulkanen fasziniert. Sie folgten meinem Wunsch, wir fuhren mit unserem Audi durch ganz Italien und schließlich stand ich zum ersten Mal am Gipfel des Ätna und blickte in die sogenannte Voragine Grande, einen jäh und tief abfallenden Krater, und war gebannt von diesem dunklen Fenster zur Unterwelt. Eine Erfahrung, die mein Leben prägte“, erzählt Peter. Seither hat der heute 62-Jährige fast jedes Jahr den Ätna besucht, zeitweise sogar mehrmals im Jahr.

Die Silvestri-Krater befinden sich auf rund 2000 Metern Höhe in der Nähe der Talstation der Ätna-Seilbahn. Sie entstanden beim Vulkanausbruch 1892.

„Der Ätna ist für mich der interessanteste Vulkan überhaupt“, schwärmt er. „Er ist nicht nur der aktivste und höchste Vulkan Europas, sondern auch ein Vulkan mit unglaublich vielen Gesichtern, der mit allem überraschen kann: Lavahöhlen, Lavaströmen, mächtigen Eruptionen, riesigen Ascheauswürfen, selbst exzentrische Ausbrüche, die neue Krater an den Bergflanken bilden, sind möglich.“ Und Peter hat am Ätna im Laufe der Jahrzehnte alles erlebt und mit der Kamera festgehalten.

Foto: Carsten Peter

Als 1983 die ersten Lavahöhlen am Ätna entdeckt wurden, ist er gleich zur Stelle. Die Höhlen entstanden, als sich die Lava unterirdische Kanäle grub oder im Fließen eine feste äußere Schicht bildete, während sie im Inneren weiterfloss. Peter erkundet die Höhlen, seilt sich in die organisch geformten Räume im Herzen des Vulkans ab, fotografiert Lava-Stalaktiten, Blasen und Kristalle. 1989 will er sich einen besseren Überblick über den gewaltigen Vulkankomplex verschaffen und schwebt mit einem Motorgleitschirm über dem Gipfel bis auf 3600 Meter Höhe.

Foto: Carsten Peter

„Das sensationellste Erlebnis hatte ich aber 2001“, berichtet Peter.
„Der Ätna befand sich damals in einer sehr aktiven Phase und ich stieg mit meinem "Vulkanpartner" Chris Heinlein auf den Berg. Wir wollten die Paroxysmen am Südostkrater fotografieren.“ Paroxysmen sind oft nur ein- bis zweistündige heftige Ausbrüche mit riesigen Lavafontänen und großen Lavaflüssen, die in regelmäßigen Abständen, meist einmal am Tag, stattfinden. „Wir mussten vier Nächte auf dem Berg ausharren, bis wir endlich den ersten ersehnten Lavaausbruch fotografieren konnten. In der fünften Nacht riss der Boden kurz vor unserer ‚Unterkunft‘, der Ruine des Observatoriums im Torre del Filosofo, auf. Lava flog uns quasi vor der Haustür um die Ohren. Ein Zurück gab es erst mal nicht. Dafür aber umso spektakulärere Aufnahmen“, erzählt Peter mit funkelnden Augen. Dieser Ausbruch wurde seine zweite Titelgeschichte für das National-Geographic-Magazin.

Foto: Carsten Peter

„Auch im Moment befindet sich der Ätna in einer spannenden Phase“, berichtet Peter. „Seit Januar 2021 gab es über 50 Paroxysmen. Eigentlich wollte ich wieder vor Ort sein, aber Corona und auch die strengen Sicherheitsmaßnahmen durch die Polizei haben mich abgehalten.“ Natürlich findet er die Absperrungen sinnvoll, denn bei den unberechenbaren Ausbrüchen ist es lebensgefährlich, sich im Gipfelbereich des Ätna aufzuhalten.

„Noch strenger als am Ätna sind die Sicherheitsmaßnahmen auf dem Stromboli“, weiß Peter. Auch der Nachbarvulkan des Ätna auf den Äolischen Inseln fasziniert ihn. „Der Stromboli gilt als der kleine Bruder des Ätna, ist aber fast genauso interessant wie dieser. Er ist vom Meeresboden aus gemessen auch über 3000 Meter hoch und ein echter Dauerbrenner. Schon die alten Griechen haben ihn als verlässliches Leuchtfeuer für die Schifffahrt verwendet.“ Noch heute schießt er quasi im Minutentakt Lavafontänen in den Himmel – gerade nachts ein atemberaubendes Schauspiel. Aber kein ungefährliches: durch Lava- und pyroklastische Ströme, die das Meer erreichen und sich auf dessen Oberfläche ausbreiten, stellt er eine Gefahr für Schiffe dar, eine abrutschende Flanke hat 2003 einen kleinen Tsunami ausgelöst, und es kam auch schon vor, dass Bergsteiger durch Schlacken, die vom Vulkan ausgeworfen wurden, gestorben sind. „Daher ist der Gipfelbereich des Stromboli heutzutage gesperrt. Touristen können nur noch bis zu 400 Metern Höhe an seinen Hängen wandern. Aber zum Glück gibt es Webcams, mit denen man gefahrlos Ausbrüche am Krater beobachten kann – bis die Webcams von einem größeren Event, zum Beispiel wenn der Berg eine riesige Gasblase ausstößt, zerstört werden.“

Der Stromboli ist vom Meeresspiegel aus gemessen über 900 Meter hoch. Vom Meeresgrund aus betrachtet ragt er etwa 3000 Meter auf.

Ätna und Stromboli werden nicht nur mit Hilfe von Webcams, sondern durch eine Unmenge von Sensoren überwacht. Seismografen, Infrarot-Detektoren zur Temperaturmessung, Gas-Spektrometer, Magnetfeldsensoren, Schalldruckmessgeräte, Infraschall-Sensoren und Wärmebildkameras – keine noch so kleine Veränderung entgeht den Wissenschaftlern des Vulkanologischen Instituts in Catania. Peter greift natürlich bei der Planung seiner Besuche auf dem Ätna auch auf die Messergebnisse und Prognosen dieses Instituts zurück. Aber einen Vulkan nur aus der Ferne beobachten? Das kommt für ihn nicht in Frage. „Ich muss den Berg spüren, sein Rumoren und die unglaubliche Gewalt der Naturkräfte unter meinen Füßen, muss die Hitze fühlen und die Schönheit der Lavaskulpturen, die Formen- und Farbenvielfalt aus nächster Nähe bewundern – und fotografieren – können.“

Außerdem wissenswert

Das Vulkanologische Institut in Catania stellt seine Messergebnisse und Webcam-Aufnahmen allen Interessierten zur Verfügung: https://www.ct.ingv.it/

Neben dem National-Geographic-Bildband „Vulkane – Expeditionen zu den gefährlichsten Kratern der Welt“ (2013) hat Carsten Peter auch ein Kinderbuch über Vulkane (2015) veröffentlicht. Außer seiner Fotoausrüstung nimmt Carsten Peter auf seinen Abenteuern immer auch eine Filmkamera mit. Unter anderem hat er beim 3-D-Film „Vulcanoes – The Fire of Creation“, der 2019 in die IMAX-Kinos kam, mitgewirkt.

Sizilien und die Äolischen Inseln liegen genau dort, wo die europäische und die afrikanische Erdplatte aufeinandertreffen. Diese Lage verursacht immer wieder Erdbeben und Eruptionen der Vulkane.

Der Ätna ist ein Berg in Bewegung: Seine Höhe schwankt je nach Ausbrüchen und Kratereinstürzen zwischen 3200 und 3350 Metern, und sein Südosthang wandert mehrere Zentimeter pro Jahr in Richtung Meer. Durch die Ausbrüche 2021 ist der Südostkrater der neue Gipfel des Ätna. Der Krater ist um 37 Meter gewachsen und hat seinen bisher höchsten Bruder, den Nordostkrater, überholt.

Studiosus bringt seine Gäste am Ätna mit dem Bus bis auf 1900 m Höhe. Wer möchte, kann auf eigene Kosten per Seilbahn und Jeeps bis auf rund 2800 m weiterfahren und die Spuren der letzten Ausbrüche begutachten.

Auf den Äolischen Inseln steht bei Studiosus natürlich der Stromboli auf dem Programm. Auf der NaturStudienreise sowie mit Studiosus smart & small beobachten die Gäste in sicherer Entfernung vom Boot aus, wie der Vulkan seine roten Lavafontänen in den Nachthimmel schießt. Und auf der WanderStudienreise unternehmen Ihre Kunden eine Wanderung an seinen Hängen.