14.06.2024

Nicht von dieser Welt

An kaum einem anderen Ort auf der Erde kommt die Schönheit des Sternenhimmels so zur Geltung wie in Namibia. Der Blick in ferne Galaxien fasziniert hier nicht nur Profi-Astronomen, sondern auch Hobby-Sternengucker.

Nicht von dieser Welt

Als die Sonne wie ein riesiger Feuerball am Horizont verschwindet, schlüpfen Melanie und einige ihrer Mitreisenden in die warmen Schlafsäcke. Heute übernachten sie nicht im Schutz des Zeltes, sondern unter freiem Himmel, auf dem staubigen Boden am Rand des Etoscha-Nationalparks. Und das, obwohl sich abends am künstlich angelegten Wasserloch des Okaukuejo Camps das Who is Who der namibischen Wildtiere trifft: Elefanten, Giraffen, Geparde, Schakale, Leoparden …

„Da habe ich mich schon gewundert, warum wir ausgerechnet hier nicht unsere Zelte aufschlagen sollen“, sagt die 35-jährige Münchnerin. „Ein Nachtwächter passt auf, dass keine ungebetenen Gäste auf den Campingplatz kommen“, zerstreut Guide Roy die Bedenken seiner Reisegruppe und grinst: „Ihr müsst nur eure Schlafsäcke sorgfältig verschließen, damit Schlangen, Skorpione oder Spinnen draußen bleiben.“ Melanie kann ein mulmiges Gefühl nicht leugnen. Doch Roys Empfehlung, unbedingt unter freiem Himmel zu schlafen, um den Sternen „näher“ zu sein, ist so eindringlich, dass sie alle ihre Zweifel über den Haufen wirft. „Zum Glück“, weiß sie im Nachhinein. Der Sternenhimmel in dieser Mainacht übertrifft ihre Erwartungen und gehört zu dem Eindrucksvollsten, was sie je erlebt hat. „Ein Himmelszelt von Westen nach Osten, von Norden nach Süden – so viele Sterne auf einmal hatte ich zuvor nur im Planetarium gesehen. Dass ich so etwas einmal in der Natur erleben würde, hätte ich niemals geglaubt.“

Gold-Status für den Sternenhimmel

Namibia zählt neben Chile zu den besten Orten weltweit für die Beobachtung des südlichen Sternenhimmels. Besonders stolz ist das Land auf die Auszeichnung der International Dark-Sky Association, die dem NamibRand-Naturschutzgebiet den Gold-Status verlieh. Nur Landschaften mit herausragendem Sternenhimmel und natürlicher Dunkelheit, die dennoch gut erreichbar sind, erhalten diesen begehrten Titel. Der Astronom, Physiker und Wissenschaftshistoriker Dr. Peter Habison ist regelmäßig sowohl in Chile als auch in Namibia unterwegs, um zu forschen, sich mit internationalen Kollegen auszutauschen und um Vorträge für Touristen zu halten, u. a. über die Geburt und den Tod der Sterne sowie über die verschiedenen Sternenbilder.

Astronom, Physiker und Wissenschaftshistoriker Dr. Peter Habison.

Auf sogenannten Astrofarmen, die ihren Gästen professionelle Sternenbeobachtung bieten, erklärt er außerdem, wie leistungsstarke Teleskope und anderes Equipment eingesetzt werden. Chile sei für Astronomen immer noch der beste Ort, um Sterne zu beobachten, meint Dr. Habison, der lange Jahre Direktor der Kuffner- und Urania-Sternwarte sowie des Planetariums in Wien war und heute u. a. für die Wissenschaftskommunikation der Europäischen Südsternwarte (ESO) zuständig ist. „Vor allem in der Atacamawüste, die rund 2000 Meter über dem Meeresspiegel liegt, herrschen ganzjährig sehr gute meteorologische Bedingungen“, sagt der Experte. „Dagegen gibt es in Namibia nur in der Trockenzeit von Mai bis September absolut klare Nächte. In den anderen Monaten ist der Himmel immer noch spektakulär, aber eindeutig diesiger.“

Geht es allerdings nicht um den besten, sondern um den schönsten Sternenhimmel, dann hat seiner Meinung nach das südafrikanische Land die Nase vorn: „Namibia ist riesengroß, hat nur sehr wenige Einwohner und deshalb eine der geringsten Lichtverschmutzungen weltweit“, schwärmt der 57-Jährige. „Besonders bei Neumond, also wenn sich der Mond zwischen Erde und Sonne befindet und die Sonnenstrahlen nur die erdabgewandte Seite des Mondes beleuchten, ist der Himmel schwarz. 3000 bis 4000 Sterne kann man dann mit bloßem Auge in einer Nacht sehen.“

Rabenschwarze Nacht

Lichtverschmutzung bedeutet übrigens nicht etwa schmutziges Licht, sondern dass künstliche Lichtquellen den Nachthimmel aufhellen. Wachsende Städte, Straßen, Leuchtreklame, Flutlicht, beleuchtete Sehenswürdigkeiten und Industrieanlagen sind die Hauptverursacher für Lichtverschmutzung. Studien belegen, dass die Erde nachts immer heller wird. Nicht nur das Licht strahlt stärker, auch die beleuchteten Flächen wachsen. „Der Lichtsmog stört Tiere, Menschen, ganze Ökosysteme – und selbstverständlich auch unsere Arbeit als Astronomen“, sagt Dr. Habison. „Je heller der Nachthimmel ist, desto schlechter die Sicht ins Universum.“

Ein Problem, mit dem sich Namibia weder jetzt noch vermutlich zukünftig herumschlagen muss. Prognosen sehen keine Bevölkerungsexplosion und auch keine stärkere Industrialisierung in den kommenden Jahrzehnten. Aber könnte sich der wachsende Astrotourismus negativ auf Namibias dunklen Himmel auswirken? Dr. Habison schüttelt vehement den Kopf: „Wir sprechen hier von Qualitätstourismus. Touristen, die sich für Astronomie interessieren und sich diesen vergleichsweise teuren Urlaub leisten können, werden nie in Massen kommen.“ Er wünsche sich sogar mehr Astrofarmen, denn die vorhandenen sind vor allem im namibischen Winter oft ausgebucht.

Auf der Astrofarm

Zu seinen favorisierten Unterkünften zählt die Kiripotib Astrofarm. Sie liegt etwa 160 km südöstlich der Hauptstadt Windhuk im namibischen Hochland, das mit seiner trockenen Luft und 3500 Sonnenstunden im Jahr zu den weltweit besten Standorten für Astronomie gehört. 10” Photo-Newtonian, Meade 10“ ACF, ICS 24” Dobsonian telescope, Observatory Fornax 55 – während Laien bei diesen Fachbegriffen ratlos mit den Schultern zucken, geraten Hobby-Astronomen und selbst Profis ins Schwärmen, denn dabei handelt es sich um die topmoderne Ausstattung der Kiripotib Astrofarm. „Neun windgeschützte Beobachtungsplattformen stehen zur Verfügung, die sich mit Montierungen und Teleskopen aus dem Sortiment der Farm bestücken lassen“, erklärt Dr. Habison. „Die Gäste können das Equipment auf der Farm ausleihen, aber selbstverständlich auch ihr eigenes mitbringen. Die vorhandenen Montierungen können Teleskope mit nur zwei Kilogramm Gewicht tragen, aber auch große Exemplare mit bis zu 100 Kilogramm.“

Ganz im Gegensatz zur Kiripotib Astrofarm setzt das Namib Dune Star Camp nicht auf Technik, sondern auf Romantik. Das Haupthaus und die neun Gästehäuschen liegen in den roten Dünen der Namib nur 60 km nördlich vom Sesriem Canyon, dem Eingangstor zum berühmten Sossusvlei. Eine echte Mitten-in-der-Wüste-Erfahrung, absolute Stille und absolute Dunkelheit – damit lockt das Camp Gäste aus aller Welt an. Teleskope, Ferngläser oder gar ein Observatorium fehlen hier. Das einzige Equipment sind auf Rollen stehende Doppelbetten, die zur Sternenbeobachtung auf die Veranda geschoben werden können. Die weißen Kopfkissenbezüge sind mit Oryx-Antilopen bestickt, die Matratzen herrlich bequem. „Mich persönlich stören Ferngläser oder Teleskope eher beim Sternegucken“, meint Stefanie, die mit ihrem Mann zum ersten Mal in Namibia ist. Ihr einziges Hilfsmittel ist das Handy, das die beiden hin und wieder auf den Himmel richten. Mit der App Stellarium gelingt es ihnen, Sterne, Planeten, Kometen und Satelliten zu identifizieren. „Diese App“, sagt die Hamburgerin, „kann ich jedem wärmstens empfehlen, der Laie wie ich ist.“ Allerdings ginge nichts darüber, den Sternenhimmel mit dem bloßen Auge zu betrachten. „Gemütlich im Bett liegen, mit einem solch grandiosen Sternenhimmel über sich, was gibt es Romantischeres?“

Vielleicht Melanies Sternenerlebnis, das von einem Gratiskonzert der Himba begleitet wird? Das Halbnomadenvolk hatte sie mit ihrer Reisegruppe tagsüber besucht, jetzt trägt der Wind den von Trommeln begleiteten Gesang aus der Ferne herüber. Weit nach Mitternacht steckt Melanie die kalten Hände samt Handy, mit dem sie Fotos gemacht hat, in den Schlafsack, zieht die Mütze noch tiefer ins Gesicht. Schließlich herrscht im Mai Winter in Namibia, und die Temperaturen sinken nachts unter den Gefrierpunkt. „Ich versuche, mit den Fotos den Moment zu konservieren“, meint sie und seufzt. „Dabei weiß ich, dass kein noch so tolles Astrofoto die Pracht dieses perfekten Sternenhimmels einfangen kann.“

Zusätzliche Infos:

„Die Astronomie ist die älteste der Wissenschaften und sicher eine der faszinierendsten. Im Grunde befasst sich die Astronomie mit der grundlegenden Frage allen menschlichen Forschens: der Suche nach unseren Ursprüngen.“ Dr. Peter Habison

Ein Eldorado für Astronomen ist der Gamsberg. Der mit einem bis 2,5 km langen und 800 m breiten Plateau größte Tafelberg Namibias zählt zu den weltweit besten Beobachtungsstandorten auf der südlichen Halbkugel. Ende der 1990er-Jahre übernimmt der Verein IAS (Internationale Amateursternwarte) die bereits in den 1970er-Jahren erworbenen Nutzungsrechte des Max-Planck-Instituts, setzt die vorhandenen Gebäude instand und errichtet dort ein Observatorium.

Auf der Website www.darkskymap.com findet man eine Karte, die die dunkelsten und damit am besten für Sternenbeobachtung geeigneten Regionen auf der Welt anzeigt.

Die Lichtverschmutzung – also das Aufhellen des nächtlichen Himmels durch künstliche Lichtquellen – nimmt weltweit jährlich um ca. 10 % zu. In Europa nimmt die Lichtverschmutzung pro Jahr im Mittel um etwa 7 % zu, Spitzenreiter ist Nordamerika mit mehr als 10 %.

„Under the Namibian Sky - The Movie“: YouTube-Film von Lorenzo Comolli über den namibischen Sternenhimmel. Der Italiener hat 250 Stunden Sternenbeobachtung zusammengeschnitten und präsentiert diese in einem 13-minütigen Zeitraffer.

Dr. Peter Habison begleitet regelmäßig kultimer-Reisen. Seine nächste Reise „Astronomie in London“ führt ihn in die englische Hauptstadt. Und im August 2025 geht es wieder zur Sternenbeobachtung nach Namibia. Weitere Hinweise auf spannende Reisen und Vorträge des Experten findet ihr unter dem Link https://stemandmint.com/reisen/