Land & Leute

Warum ist türkisches Eis zäh wie Kaugummi? Warum trinken die Türken mehr Tee als Kaffee? Und wieso gibt es erst seit 1934 Nachnamen in der Türkei? Hier erfahrt ihr es!

Land & Leute

„Projekt Lightspeed“
Während der COVID-19-Pandemie wird Ugur Sahin, der als Sohn einer türkischen Gastarbeiterfamilie 1965 in Iskenderun geboren wurde und mit vier Jahren nach Deutschland zog, zum großen Hoffnungsträger. Sahin arbeitet als Arzt für Innere Medizin und Onkologie am Universitätsklinikum in Homburg und lernt dort seine spätere Ehefrau Özlem Türeci, ebenfalls eine Medizinerin und Wissenschaftlerin, kennen. 2008 gründet er, mittlerweile Professor für molekulare Medizin und Immunologie, zusammen mit Türeci BioNTech.

Kluge Köpfe: Özlem Türeci und Ugur Sahin.

Das Mainzer Unternehmen spezialisiert sich darauf, Immuntherapien gegen Krebs zu entwickeln. Als sich COVID-19, verursacht durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2, Ende 2019 zu einer globalen Pandemie ausbreitet, erkennt Sahin schnell, dass BioNTech mit seiner sogenannten mRNA-Technologie einen wirksamen Impfstoff entwickeln könnte. Für sein ambitioniertes Vorhaben, das er „Projekt Lightspeed“ nennt, gewinnt er den Pharmariesen Pfizer als Partner. Zwar nicht in Lichtgeschwindigkeit, aber innerhalb von nur ein paar Monaten bringen BioNTech und Pfizer einen Impfstoff auf den Markt, der zu über 90 Prozent wirksam ist – ein Meilenstein im Kampf gegen die Pandemie.

Vater der Türken
Nach der Niederlage des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg und der anschließenden Besatzung durch die alliierten Siegermächte führt Mustafa Kemal als Oberbefehlshaber den türkischen Befreiungskrieg an und ruft 1923 die Republik Türkei aus. Als ihr erster Präsident reformiert er das Land von Grund auf, schafft u. a. das Kalifat ab, was die Trennung von Religion und Staat einleitet. Unter Atatürk orientiert sich das Rechtssystem an europäischen Vorbildern. Frauen dürfen seit 1930 wählen und werden rechtlich gleichgestellt. Auf Basis des italienischen Strafgesetzbuchs etabliert er ein modernes, säkulares Rechtssystem. Das deutsche Handelsgesetzbuch steht Pate für die Handels- und Wirtschaftsgesetze der jungen Türkei. Die Modernisierung nach westlichem Vorbild reicht in jeden Lebensbereich hinein: Das lateinische Alphabet ersetzt die arabische Schrift, die Türken und Türkinnen werden ermuntert, westliche Kleidung zu tragen, westliche Musik zu hören und sich westliche Lebensweisen anzueignen.

Kemal Atatürk (1881-1938)

So überrascht es auch nicht, dass Atatürk die Stadtplanung seiner neuen Hauptstadt Ankara vornehmlich in die Hände von deutschen und österreichischen Architekten legt. Aufgrund seiner Bedeutung erhält Mustafa Kemal von der Nationalversammlung den Namenszusatz Atatürk – Vater der Türken. Ein Gesetz besagt, dass niemand anderes diesen Nachnamen annehmen darf. Mustafa Kemal Atatürk stirbt 1938 an einer Leberzirrhose mit nur 57 Jahren in Istanbul.

Nachname per Gesetz
Bevor das Nachnamengesetz eingeführt wurde, hatten die meisten Menschen im Osmanischen Reich keinen festen Nachnamen. Stattdessen hieß es zum Beispiel: „Ahmet, der Sohn von Mehmet“ oder „Hasan, der Schmied“. Am 21. Juni 1934 erlässt die türkische Regierung unter der Führung von Atatürk das Nachnamengesetz, das alle türkischen Bürger verpflichtet, einen festen Nachnamen anzunehmen.

Die Familien dürfen ihre Nachnamen frei wählen. In manchen Namen spiegelt sich der Beruf wider, in anderen Charaktereigenschaften oder die geografische Herkunft. Terzi kommt zum Beispiel vom Beruf des Schneiders, Yilmaz bedeutet „furchtlos“ und Familie Izmirli stammt, na klar, aus Izmir.

Der berühmteste Salzstreuer der Welt …
… ist der durchaus umstrittene türkische Koch, Gastronom und Social-Media-Star Salt Bae. Der Spitzname entsteht, nachdem Nusret Gökçe, so sein bürgerlicher Name, 2017 durch ein virales Video auf Instagram berühmt wurde. In diesem streut der damals 33-Jährige auf theatralische Weise und wie kein anderer jemals zuvor Salz auf ein Steak. Bae ist ein Akronym für „Before anyone/anything else“. Bevor er zu Ruhm und Reichtum gelangt, zwingt ihn die finanzielle Notlage seiner Familie, die Schule in der sechsten Klasse abzubrechen und als Lehrling in einem Fleischerladen zu arbeiten. Um der Armut zu entkommen, arbeitet er sich in verschiedenen Restaurants hoch, u. a. in Argentinien und den USA, um von den besten Fleischspezialisten der Welt zu lernen. 2010 eröffnet er sein erstes Steakhaus „Nusr-Et“ in Istanbul.

Filialen gibt es mittlerweile in verschiedenen Städten weltweit, darunter Dubai, New York, Miami und London. Gerichtsklagen seiner Mitarbeiter, weil er sie nicht fair bezahlt und die Trinkgelder selbst einstreicht, oder der Eklat beim Fußball-WM-Finale in Katar – nach dem Sieg Argentiniens drängte sich Nusret auf das Spielfeld, um die Trophäe zu berühren – haben seiner Popularität bislang nicht geschadet. Wer also nichts Sinnvolleres mit seinem Geld anzufangen weiß, probiert Salt Baes mit Blattgold veredelte Steaks, die mittlerweile zu einem Markenzeichen auf seiner exklusiven Speisekarte wurden. Nach dem Garen überzieht der Koch das Fleisch mit 24-karätigem Blattgold, das geschmacksneutral und vollständig essbar ist und folgerichtig nach ein paar Stunden in der Toilette verschwindet. Egal, immerhin glitzert es vor dem Verzehr herrlich golden. Das ist doch die Kleinigkeit von 1800 Euro pro Steak wert, oder?

Wollt ihr wissen, wie man durch das Salzen von Fleisch berühmt werden kann? Dann schaut euch dieses YouTube-Video an:

Die türkische Diva
Dank ihrer einzigartigen Stimme ist die 1952 in Istanbul geborene türkische Sängerin Bülent Ersoy, die als Mann auf die Welt kam, seit den 1970er-Jahren eine gefeierte Künstlerin der „Türkischen Kunstmusik“. Ihre Musik hat die Wurzeln in der osmanischen Klassik und wird mit traditionellen Saiteninstrumenten wie der Oud oder der Kanun begleitet. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere unterzieht sich Ersoy 1981 in London geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Sie wird damit eine der ersten prominenten Transgender-Personen in der Türkei. Die Militärregierung, die 1980 nach einem Staatsstreich an die Macht kommt, bewertet die Geschlechtsangleichung als Bedrohung für die traditionellen Werte. Sie verhängt zum „Schutz der öffentlichen Moral“ ein achtjähriges Auftrittsverbot, obwohl Ersoy schon immer als Frau aufgetreten ist. 1988 setzt sie ihre Karriere mit ungebrochenem Erfolg fort.

2007 heiratet sie Armagan Uzun, einen 30 Jahre jüngeren Teilnehmer der ersten Staffel der Castingshow „Popstar Alaturka“. Während liberale Kreise diese wie auch ihre früheren drei (kurzen) Ehen als Ausdruck persönlicher Freiheit feiern, werten konservative Zirkel sie als Provokation gegen traditionelle Familienwerte. Die Sängerin gerät wegen kritischer Äußerungen auch immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz, zum Beispiel, als sie in einer Fernsehshow den obligatorischen Militärdienst in der Türkei kritisiert und sagt, dass sie keinen Sohn in den Krieg schicken würde. Dies führt zu einer Anzeige wegen „Entmutigung der Bevölkerung gegenüber dem Militärdienst“. Ersoy wird angeklagt, aber später freigesprochen.

In den Genuss von Bülent Ersoys Gesang kommt ihr mit diesem YouTube-Video:

Eis wie Kaugummi
Schon mal Eis gekaut oder gar mit Messer und Gabel gegessen? Beim türkischen Eis Dondurma geht es kaum anders, denn es hat eine besonders feste und elastische Konsistenz. Die Eismacher erreichen die Zähigkeit durch den Zusatz von Salep, einem Mehl aus Orchideenwurzeln, und Mastixharz, das aus Pistazienbäumen gewonnen wird. Weitere Zutaten sind, wie bei den meisten Eiscremes, Milch und Zucker.

Das Milch-Zucker-Salep-Mastix-Gemisch wird unter ständigem Rühren gekocht, um alles gleichmäßig zu vermischen und die gewünschte Konsistenz zu erreichen. Nach dem Abkühlen wird das Eis traditionell mit der Hand geknetet und gedehnt. Aufgrund seiner Zähigkeit und der besonderen Zutaten schmilzt Dondurma langsamer als herkömmliches Eis, was es besonders an heißen Sommertagen beliebt macht. Dass die Straßenverkäufer mit jedem Eis eine kleine Showeinlage mitverkaufen, seht ihr in folgendem Video:

Übrigens: Der Handel mit Orchideenwurzeln unterliegt dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES). Dies bedeutet, dass der Export von Salep strengen Auflagen und Kontrollen unterliegt, um den Schutz der gefährdeten Orchideenarten sicherzustellen.

Die größte unterirdische Stadt der Welt
In Midyat in der Region Südostanatolien entdecken Arbeiter, während sie ein historisches Gebäude restaurieren, 2020 zufällig das Tor zu einem unterirdischen Netzwerk von Gängen und Räumen. Weitere Untersuchungen ergeben, dass es sich um Teile einer riesigen Stadt handelt. Die Forscher taufen sie „Matiate“, was aus dem Aramäischen übersetzt „Stadt der Höhlen“ oder „Stadt des Verstecks“ bedeutet.

1900 Jahre lang soll sie genutzt worden sein, etwa 60.000 bis 70.000 Menschen haben hier zeitweise gelebt. Im Gegensatz zu den unterirdischen Städten in Kappadokien, die viele Stockwerke tief in den Boden gebaut wurden, ist Matiate horizontal angelegt und erstreckt sich über mehr als 100.000 Quadratmeter. Voraussichtlich Ende 2024 soll die sensationelle Entdeckung für Besucher zugänglich gemacht werden – allerdings sind bislang erst sechs bis sieben Prozent der geschätzten Gesamtfläche ausgegraben worden. Es bleibt spannend, was die Forscher in den nächsten Jahren noch entdecken werden.

Kaffee oder Tee?
Überall in der Türkei wird schwarzer, süßer Tee im Glas getrunken – nicht nur im Teehaus, auch im Basar, im Geschäft und zu Hause. Dabei ist die türkische Teekultur noch gar nicht alt: Erst seit 1924 fördert die Regierung den Teeanbau und -genuss. Denn die Kosten für den Import von Kaffee, bis dahin der Türken liebstes heißes Getränk, stiegen immer weiter, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg. Also setzte die Türkei auf Teeanbau im eigenen Land, insbesondere in der Region um Rize am Schwarzen Meer.

Heute ist die Türkei fünftgrößter Teeproduzent der Welt, und nur die Briten trinken mehr Tee als die Türken. Übrigens: Touristen wird meist Apfeltee angeboten – zur Begrüßung, als Zeichen der Gastfreundschaft und auch zum Kauf. Typisch türkisch ist er nicht. Wie anfangs erwähnt: Die Türken bevorzugen Çay, stark gesüßten Schwarztee.