19.11.2021

Land & Leute

Finden Sie heraus, warum Palermos Bürgermeister ein wahrer Held ist und ein Künstler die Kleinstadt Gibellina komplett mit Beton übergossen hat.

Land & Leute

Leoluca Orlando

Er ist einer, der längst zum Mythos geworden ist: Der 1947 geborene Juraprofessor, Parlamentsabgeordnete sowie international berühmte Anti-Mafia-Kämpfer hat Palermo zwischen 1985 und 2000 dreimal regiert und ist seit 2012 erneut Bürgermeister der Stadt. Er ließ Kirchen renovieren, Parks anlegen, Straßen beleuchten und Museen eröffnen. Und er hämmerte den Menschen ein: „Die Mafia ist nicht eure Identität – sie pervertiert eure Identität.“ Aber Orlando kämpft nicht nur gegen die „ehrenwerte Gesellschaft“, er tritt als ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments auch vehement für die europäische Idee ein und engagiert sich für die Aufnahme von Flüchtlingen. So brachte er 2015 die „Charta von Palermo“ auf den Weg, die für ein Recht auf Freizügigkeit eintritt: „Kein Mensch hat den Ort, an dem er geboren wird, ausgesucht oder sucht diesen aus; jeder Mensch hat den Anspruch darauf, den Ort, an dem er leben, besser leben und nicht sterben möchte, frei zu wählen,“ heißt es darin. So erstaunt es auch nicht, dass es eine von Orlandos ersten Amtshandlungen nach seiner Wiederwahl zum Bürgermeister 2017 war, ein Boot mit über 700 Flüchtlingen im Hafen von Palermo zu begrüßen.

Warum immer er?

Sein Image ist wirklich nicht das beste. Mario Balotelli, 1990 als Kind ghanaischer Einwanderer in Palermo geboren, gilt als Enfant Terrible des Fußballs – zu lang ist die Liste seiner Eskapaden auf und neben dem Platz. Doch es gibt auch diese Seite: Kaum ein anderer Fußballer von Weltrang wird so oft in Spielen rassistisch angefeindet wie Balotelli. Bereits als Jugendlicher gilt er als hochtalentiert, doch schon damals muss er Schmähgesänge und andere Attacken ertragen. Selbst von den Fans seiner eigenen Vereine Inter Mailand und AC Mailand, und sogar dann, wenn er gar nicht auf dem Rasen ist. Seine Verzweiflung lässt er vor einigen Jahren auf ein T-Shirt, das er unter seinem Trikot trägt, drucken. Die Botschaft ist eine Frage: „Why always me?“

Herr der Lüfte

Was wohl die Bergsteiger denken, die am 24. Mai 2004 den Gipfel des Mount Everest erreichen? Hoch über ihren Köpfen segelt ein Mann im Hängegleiter vorbei und winkt ihnen freundlich zu. Es ist Angelo D'Arrigo, Abenteurer und Vogelkundler aus Catania. Ohne Motor und nur vom Wind angetrieben überfliegt er den höchsten Berg der Welt, auch das Mittelmeer und die Sahara hat er von oben gesehen. Und mehr noch: Er bringt denen das Fliegen bei, die es eigentlich im Blut haben. Junge russische Kraniche sind ebenso seine Flugschüler wie die Kondore Maya und Inca, die er zuhause auf Sizilien aufzieht und mit denen er erste Runden um den Ätna dreht. Kurz bevor er die beiden Vögel in den peruanischen Anden in die Freiheit entlassen will, stirbt D’Arrigo 2006 mit nur 44 Jahren – bei einem Absturz während einer Flugschau auf seiner Heimatinsel. Bei diesem letzten Flug sitzt er nicht selbst am Steuer.

Wenn Modeschöpfer eine Pause brauchen

Was tun, wenn es mal nicht so läuft wie gewohnt? Gut, wenn man in solchen Momenten Giorgio Armani heißt: Der Designer findet dann Zuflucht in seinem Ferienhaus auf dem Inselchen Pantelleria, das zur sizilianischen Provinz Trapani gehört. Wanderungen am frühen Morgen, Bootsausflüge und Abendessen im Kerzenschein bringen dem Modeschöpfer Erholung von der Mailänder Glitzerwelt. Und wenn selbst das nicht hilft, steht seine Superyacht bereit und nimmt Kurs auf die Vulkaninsel Stromboli. Der dortige Fußballclub wird übrigens von dem berühmten Feriengast gesponsert, doch das finanzielle Engagement ist vermutlich überschaubar: Denn der Verein spielt, ganz anders als Armani, in Italiens unterster Liga.

In Beton gegossen

Aus der Ferne sieht es aus, als hätte sich hier eine riesige Schildkröte schlafen gelegt. Aber vor dem Betrachter befindet sich kein Fabelwesen, sondern eines der beeindruckendsten Landschaftskunstwerke Europas. Der Künstler Alberto Burri hat es 1981 geschaffen. Er begrub die Stadt Gibellina, die Jahre zuvor bei einem Erdbeben zerstört worden war, unter einer dicken Betonschicht. Sie wird von begehbaren Einschnitten durchzogen, die das ehemalige Straßennetz nachbilden und die Enge der mittelalterlichen Gassen erahnen lassen. Übrigens wurde der Ort neun Kilometer weiter neu gegründet. Und auch hier, in Gibellina Nuova, lohnt sich ein Besuch. Zahlreiche bekannte Architekten, Bildhauer und Maler stifteten Kunstwerke für die öffentlichen Plätze, sodass Gibellina heute die Stadt mit der höchsten Dichte an moderner Kunst in ganz Italien ist.

Trinacria

Keine Angst vor diesem dreibeinigen Monster: Die Trinacria mit dem Kopf in der Mitte ist ein typisches Symbol für Sizilien und überall auf der Insel zu sehen. Sie ziert nicht nur die Flagge Siziliens, sondern wird als Schmuckstück aus Gold oder Silber, als Wandschmuck aus Ton oder Holz gefertigt. Das uralte Symbol des Sonnenrades erhielt auf Sizilien Gesicht und Namen. Trinacria heißt die Insel seit Homer, wörtlich übersetzt "die drei Vorgebirge". Das Frauenantlitz, zur Zeit der Griechen eine schreckliche Gorgonenfratze mit Schlangen auf dem Haupt, verwandelten die Römer in ein Abbild ihrer Fruchtbarkeitsgöttin Ceres, in deren Haar Ähren geflochten sind. Und die drei Beine stehen für den Lauf des Lebens.

„Einfach wunderbar!“

Das Caffè Wunderbar in Taormina ist wahrscheinlich die bekannteste Location Siziliens. Nach der Eröffnung 1960 wurde das Café schnell zum beliebten Treffpunkt für Stars wie Marlene Dietrich, Audrey Hepburn oder Greta Garbo. Elizabeth Taylor und Richard Burton wurden hier als Paar gesichtet – und geben noch heute zwei Cocktails auf der Getränkekarte ihre Namen. Zu verdanken hat das Caffè Wunderbar sein illustres Publikum nicht nur seiner romantischen Lage auf der Piazza IX Aprile mit Blick aufs Meer und den Ätna. Auch das 1955 gegründete Taormina Film Festival trug seinen Teil dazu bei. Zwar hat der In-Faktor etwas nachgelassen, aber immer noch kann man im Caffè Wunderbar aufstrebenden Starlets, reichen Fiat-Erben oder römischen Prinzessinnen begegnen. Und woher kommt der ungewöhnliche Name des Cafés? Vielleicht von den verzückten Ausrufen deutscher Touristen, wenn sie auf der Terrasse standen: „Ahhh, einfach wunderbar!“

https://wunderbarcaffe.com/

Nero d’Avola & Co.

Sizilien ist die größte Weinbauregion Italiens und heute angesagt unter Weinkennern. Doch das war nicht immer so, denn die Weinbauern produzierten lange Zeit günstige Tropfen und lieferten sie in den Norden Italiens, wo sie mit dortigen Weinen vermischt wurden. Das änderte sich in den 1990er-Jahren, als erste Winzer begannen, auf mehr Qualität und einheimische Rebsorten zu setzen. Vor allem der Rotwein Nero d’Avola konnte einen wahren Siegeszug antreten: Er ist vergleichsweise preiswert und überzeugt Weinliebhaber mit Aromen von Kirschen, Brombeeren und Pflaumen. Bei den Weißweinen erfreut sich die Rebsorte Grillo zunehmender Beliebtheit. Eine Besonderheit ist der Süßwein Marsala, für den Sizilien schon im 18. und 19. Jahrhundert bekannt war, und der sich vor allem in England großer Beliebtheit erfreute.