30.03.2023

Fachwissen und Fingerspitzengefühl

Studiosus-Reiseleiter besitzen feine Antennen für Stimmungen und Zwischentöne, und manchmal können sie sogar Fragen beantworten, bevor sie überhaupt gestellt wurden. So wie Elke Rausch, die eine Studiosus-Reise ins Baskenland zu einem ganz besonderen Erlebnis gemacht hat.

Fachwissen und Fingerspitzengefühl

Von der Geschichte mit der alten Frau und dem Schlüssel wird abends gerne erzählt – wenn alle bei einem Glas Txakoli zusammensitzen und die Erlebnisse des Tages Revue passieren lassen. Aber der Reihe nach: Wir befinden uns auf der Studiosus-Reise nach Spanien, „Bilbao und die Rioja“, und machen gerade einen Zwischenstopp in Laguardia, einem kleinen Städtchen hinter trutzigen Mauern ganz im Süden des Baskenlands. Reiseleiterin Elke Rausch hat ihre Gruppe nach der Ankunft durch die mittelalterlichen Gassen geführt, und dann stehen alle Gäste vor der Santa María de los Reynes und staunen: So eine prächtige Kirche in so einem kleinen Ort! Leider kann man nur zur Messe hinein, eine Gruppe amerikanischer Touristen rüttelt an der Tür und verschwindet dann missmutig in den Gassen. Am Abend zuvor aber hatte Elke Rausch bereits telefoniert. Mit einer alten Frau, die den Schlüssel zur Kirche hütet. Zwei Minuten später ist sie da, schließt auf und drückt irgendwo einen Knopf, und dann sitzen alle im stockdunklen Vorraum, in dem nacheinander einzelne Teile des gewaltigen gotischen Südportals beleuchtet werden. Die Engel und Propheten. Die Zwölf Apostel. Die himmelsfahrende Madonna. Ein bisschen ist es, als sitze man in einer privaten Kinovorführung.

Türen zu? Gut, wenn man in solchen Fällen eine Studiosus-Reiseleiterin dabei hat.

Die Berufsbezeichnung Reiseleiterin (bzw.: Reiseleiter) ist  – nun ja: manchmal etwas irreführend. Beziehungsweise: Sie deckt nur einen kleinen Teil all dessen ab, was Menschen in diesem Beruf leisten. Natürlich leiten Elke Rausch und ihre Kolleginnen und Kollegen Reisen. Aber selbstverständlich machen sie sehr viel mehr, als mit einem Headset durch die Straßen zu laufen und den Gästen Informationen in die Ohrhörer zu übermitteln. Vor dem Frühstück lesen sie am Handy ihren Newsfeed mit Neuigkeiten aus der Region. In der Mittagspause informieren sie das Dinner-Restaurant über drei Veganer in der Reisegruppe, und jemand mit Gluten-Unverträglichkeit ist auch dabei. Abends im Hotelzimmer recherchieren sie die Wetterlage und ob es noch Karten für die Opernaufführung gibt. Anders gesagt: Ein Großteil der Arbeit passiert hinter den Kulissen. Das allermeiste bekommt die Reisegruppe überhaupt nicht mit.

Stimmungstest: der erste Spaziergang

Elke Rausch hat ihre Gäste am Gepäckband des Flughafens kennengelernt. Und nach einer kurzen Pause im Hotel alle auf einen Spaziergang durch Bilbao eingeladen. So eine kleine Runde am Ankunftstag sei eine gute Gelegenheit zum Beschnuppern, sagt sie später, da bekomme man ein Gespür für die Stimmung - und ein Gefühl dafür, ob die zwanzig Gäste in den kommenden Tagen eher als zehn Paare unterwegs sein werden oder eher als Gemeinschaft. Am Ende des Bummels stellt sich jeder kurz vor. Es gibt die ersten „Aus Bad Camberg? Kennen Sie die Hofstätters aus der Martinsgasse?“-Bemerkungen. Und Gelächter. Und gute Laune. „Wenn beim ersten Spaziergang gelacht wird, ist alles gut“, sagt  Elke Rausch. Und dass eine lockere Stimmung unter den Gästen auch ihr gut tue. Ein wenig nervös ist sie nämlich vor jedem Einsatz. Auch noch nach all den Jahren.

Spazieren in Bilbao: eine gute Gelegenheit zum Kennenlernen der Mitreisenden.

Seit 1994 ist die 55-jährige Frankfurterin für Studiosus unterwegs. Noch während ihres Spanisch-Studiums hatte sie sich beworben; der Anruf mit der Einladung für das Auswahlverfahren kam ausgerechnet am Abend vor der Prüfung. Anschließend durchlief sie dann die komplette Schulung, absolvierte ihre erste Reise zusammen mit einem erfahrenen Kollegen – und kann sich seitdem nichts anderes vorstellen. Zum Schwerpunkt Spanien kam irgendwann Mexiko hinzu, dann Patagonien, dann Großbritannien, im Sommer, wenn es in den anderen Regionen zu heiß ist. In den meisten Jahren ist Elke Rausch 140 bis 160 Tage auf Reisen.

Reiseleiterwissen, nicht Reiseführerwissen

„Bilbao und die Rioja“ ist ein fünftägiges Angebot – nicht wirklich viel Zeit, dann aber wiederum locker genug, um mehr als nur einen ersten Eindruck vom Baskenland zu bekommen. Die Gruppe besucht Frank O. Gehrys berühmtes Guggenheim-Museum (das Hotel liegt schräg gegenüber am anderen Ufer des Nervión), schlendert durch Altstadt und Markthallen, fährt zu architektonisch extravaganten Weingütern in der Rioja, schaut im Freilichtmuseum von Eduardo Chillida vorbei und erkundet San Sebastián mit seiner wunderschönen Altstadt und dem sensationellen Strand. Und Elke Rausch sorgt dafür, dass all diese unterschiedlichen Programmpunkte reibungs- und kantenlos ineinander übergehen.

Auch das Hotel des Weinguts Bodegas Marqués de Riscal ist ein spektakuläres Fotomotiv.

Natürlich erklärt sie viel. Meistens spricht sie aber nicht über das, was jeder in jedem Reiseführer nachlesen kann. Dass die Kirche dort vorne zwar 1269 erbaut, dann aber 1388 durch ein Feuer zerstört wurde und 1455 ein weiteres Mal, wird man von ihr nicht hören.  All diese Zahlen könne sich sowieso niemand merken, sagt sie. Und erklärt stattdessen, welche ungeheuren Folgen die Entscheidung hatte, den kanadisch-US-amerikanischen Stararchitekten Gehry ein Museum am Fluss bauen zu lassen (das „Wunder von Bilbao“ hat aus einer siechen Industriestadt einen Touristenhotspot gemacht). Warum San Sebastián möglicherweise die beste Küche Europas hat (pro Kopf mehr Michelin-Sterne als Paris, und 150 Kochclubs mit eigenen Vereinsheimen). „Gleich taucht rechts auf einem Hügel eine Schaf-Silhouette auf. Das ist das baskische Gegenstück zum schwarzen Osborne-Stier, der sonst überall steht – die Basken wollten sich den nicht auch noch von Madrid aufdrängen lassen.“ Und, ach so: Die tuschelnden Leute auf der Plaza Nueva seien keine Drogendealer - sondern Eltern, die dort Fußball-Sammelbilder für ihre Kinder tauschen. Und wo wir gerade beim Thema sind: „Athletic Bilbao hat heute Abend ein Heimspiel. Es gibt noch Restkarten. Und man kann mit der Straßenbahn bis zum Stadion fahren, die Haltestelle heißt Sabino Arana.“

Fokus auf dem Alltag

„Ich versuche immer, den Fokus auf den Alltag der Menschen zu richten“, erzählt Elke Rausch später, „die Gäste wollen wissen, wie die Leute vor Ort leben. Und natürlich lasse ich Luft zum Atmen. Die meisten möchten ja auch was selbst entdecken.“ Deswegen verteilt sie gleich am ersten Tag Bilbao-Stadtpläne mit persönlichen Tipps und ermutigt dazu, Dinge einfach mal auszuprobieren: das Glas Rioja im Stehen vor einer Bar, die Pintxos in der Markthalle, die Fahrt mit dem Funicular zum Sonnenuntergang hinauf zum Artxanda-Aussichtspunkt. Zwischendrin beantwortet sie Fragen, lenkt den Blick auf ungewöhnliche Details, spendiert kleine Pinienkernbällchen zum Knabbern und an einem anderen Tag ein Glas Wein für jeden, und wenn man wissen möchte, wo in einer alten Stadtmauer eine Lücke zum Fotografieren ist – dann weiß sie das auch.

Wo gibt es die besten Pintxos? Studiosus-Reiseleiterin Elke Rausch weiß Bescheid. 

Wahrscheinlich sind es solche Kleinigkeiten, die am Ende den großen Unterschied machen. Die praktischen Tipps. Die passenden Anekdoten. Die Antworten auf Fragen, die fünf Minuten später jemand gestellt hätte. Am Ende sind es auch die vielen kleinen Hinweise, die dazu beitragen, dass man die Welt ein wenig besser versteht. Und einen erkennen lassen, was die Menschen in Bilbao oder San Sebastián mit denen in Düsseldorf oder Ulm verbindet.

Erfahrung, sagt Elke Rausch, das bringe die jahrzehntelange Erfahrung mit sich. Bestimmt. Es gehört aber auch ein besonderes Gespür für die Situation dazu. Wie auf der Rückfahrt aus der Rioja, nach einem opulenten, späten Mittagessen samt Weinbegleitung. Gut hundert Kilometer sind es bis Bilbao, und Elke Rausch nimmt sich das Mikrofon und dreht sich in ihrem Sitz nach hinten in den Bus. „Ich denke, ich lese Ihnen jetzt mal eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Zur Siesta. Ist nicht schlimm, wenn Sie zwischendrin wegdösen.“ In der Geschichte geht es um die letzte verbliebene Manufaktur für Baskenmützen, und sie enthält ganz viel von dem, was diese Region ausmacht. Ihren Schluss bekommt tatsächlich niemand im Bus mit. War aber nicht schlimm. Beim Abendessen erzählt Elke Rausch sie einfach noch einmal komplett.

Wie schmeckt das? Studiosus-Reiseleiterin Elke Rausch hat eine Kostprobe für ihre Gäste vorbereitet.