Leoparden auf Sendung

Mit der Stiftung AfriCat in dem privaten Naturschutzgebiet Okonjima hat sich Wayne Hanssen seinen Kindheitstraum erfüllt: Namibias Wildkatzen zu schützen. Ohne Touristen wäre dieses Projekt nicht möglich.

Leoparden auf Sendung

Dumpfe Schläge tönen herüber zum offenen Landcruiser. „Giraffenbullen“, erklärt Guide Opari seinen verdutzten Safarigästen, die die Geräusche nicht deuten können. Beim sogenannten „necking“ während der Paarungszeit geht es um die Weibchen. „Die Rivalen schlagen ihre Hälse heftig aneinander. Der Verlierer muss den Rückzug antreten.“ Auf der holprigen Weiterfahrt säumen riesige Termitenhügel den Weg. Warzenschweine, Antilopen und ein Schakal kreuzen die staubige Piste. Noch hält sich die Hauptattraktion irgendwo im Dickicht versteckt: der Leopard. Er ist extrem scheu und mit seinem rötlich-ockerfarbenen Fell und dem Rosettenmuster ein Meister der Tarnung. Einen Leoparden in freier Wildbahn zu sichten, kommt einem Sechser im Lotto gleich.

Im Okonjima-Naturschutzgebiet, das auf halbem Weg zwischen Namibias Hauptstadt Windhuk und dem berühmten Etoscha-Nationalpark liegt, helfen die Guides von AfriCat dem Glück ein wenig auf die Sprünge. Während Opari mit der einen Hand den Geländewagen steuert, hält er mit der anderen Hand eine mehrarmige Antenne aus dem Fenster. Mit diesem Empfänger versucht er, einen Leoparden zu orten. Die meisten der hier lebenden Raubkatzen sind mit einem Senderhalsband ausgestattet. „Eine Studie aus dem Jahr 2015 dokumentiert, dass das Okonjima-Naturreservat die höchste Leopardendichte in Namibia aufweist – 14,5 Leoparden pro 100 km²“, erläutert Karen Codling, Direktorin von AfriCat. „Wir schätzen, dass die Dichte in etwa gleichgeblieben ist. Im Jahr 2023 haben wir 31 Leoparden durch persönliche Sichtungen, Kamerafallen und Telemetrie, also mit Hilfe von Sendern und Empfängern, registriert.“

Guide Opari weiß, wo er die Leoparden suchen muss. Yasin Kirsch / © AfriCat

Immer dem Piepsen nach

Die Senderhalsbänder tragen die Leoparden zu Forschungszwecken – für die Touristen hat das einen positiven Nebeneffekt. „Die Wahrscheinlichkeit, einen oder mehrere Leoparden aufzuspüren und sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen, ist in Okonjima außergewöhnlich hoch“, sagt Opari. „Hört ihr?“ Seine Gäste lauschen, die Antenne piepst. „Das klingt vielversprechend“, meint der Guide und steigt auf die Motorhaube, um herauszufinden, aus welcher Richtung genau das Signal kommt. „Mawenzi ist ganz in der Nähe“, stellt er dann fest, setzt sich wieder ans Steuer und gibt Gas. Das Piepsen wird lauter. Keine fünf Minuten später bremst er ab und deutet mit breitem Grinsen auf eine Akazie. Lässig liegt das elf Jahre alte und rund 70 Kilogramm schwere Männchen auf einem dicken Ast. Unter den Raubkatzen zählen Leoparden zu den geschicktesten Kletterern. Mit ihren langen, hakenartigen Krallen können sie an Baumstämmen hoch- und, im Unterschied zu den meisten anderen Katzen, sogar kopfüber hinabklettern. In einer Astgabel vor ihm hängt ein Oryx, den er erlegt und auf den Baum gezerrt hat, um ihn vor Fressfeinden in Sicherheit zu bringen.

Karen Codling ist Direktorin von AfriCat / © AfriCat

Anders als Löwen, die in Rudeln leben, bevorzugen Leoparden ein Dasein als Einzelgänger. Ihr Revier verteidigen sie vehement und meist erfolgreich gegen Eindringlinge. Ihr einziger, existenzbedrohender Feind ist der Mensch. Obwohl Leoparden auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN als gefährdet eingestuft sind, ist ihr Schutzstatus in den einzelnen Verbreitungsländern von den national geltenden Gesetzen abhängig. In Namibia sind Tiere in Nationalparks geschützt, doch ein erheblicher Teil der Leopardenpopulation bevorzugt es, durch das Farmland zu streifen. Hier haben die Bauern das „Hausrecht“ – und üben es häufig auch aus, indem sie die Raubkatzen erschießen oder vergiften. „Das Problem lösen sie dadurch nicht“, betont Karen, „denn andere Leoparden kommen, um das jetzt leere Revier für sich zu beanspruchen.“ Viehverluste ließen sich wirksamer reduzieren, wenn die Farmer ihre Nutztiere mit Hilfe von Zäunen, Hirten oder Hütehunden schützen würden.

Tausende Euro für den Abschuss

Im Rahmen einer nationalen Quote ist auch die Trophäenjagd auf Leoparden erlaubt. Die Jagd- und Gästefarm Ondombo zum Beispiel macht aus der „Plage“ ein lukratives Geschäft. „Die Leopardenpopulation hat in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen – dank des durch die Trophäenjagd gewachsenen ‚Wertebewusstseins‘“, behaupten die Betreiber auf ihrer Website und preisen „den abgekochten Schädel eines Leoparden als beeindruckende Trophäe“ an. Für den Abschuss muss der Jäger oder die Jägerin mindestens 5000 Euro hinblättern. Je stattlicher das Tier, desto höher der Preis. Auch in der Nachbarschaft von Okonjima gibt es Farmen, die die Trophäenjagd anbieten.

Obwohl AfriCat eine andere Strategie als die Nachbarn verfolgt, sei das Verhältnis zu den meisten gut und kooperativ. „Die Trophäenjagd ist in Namibia legal und Teil der Regierungsstrategie, um den Wildtieren einen Mehrwert zu verleihen“, erklärt Karen. „Einnahmen aus dem Jagdtourismus investiert der Staat dann wieder, um die Raubkatzen zu schützen und ihren Lebensraum langfristig zu bewahren. Und das durchaus erfolgreich.“ Tatsache sei aber auch, dass die Leoparden in Namibia nach den Wildhunden und Geparden die vom Aussterben am meisten bedrohten Fleischfresser seien. „Es gibt drei Hauptarten, wie Wildtiere ‚genutzt‘ werden: Safaris, Trophäenjagd und Nahrung. Für AfriCat steht der Schutz des Lebens im Vordergrund und daher kommen nur Safaris in Frage und nicht die Jagd.“

Familienfarm mit Rinderzucht

Das war in den Anfängen von Okonjima anders. Als Familie Hanssen 1970 die Farm samt Land kaufte, setzte sie, wie alle Nachbarn, auf die Rinderzucht, obwohl diese in einem trockenen, kargen Land wie Namibia wenig lukrativ war. Schon der Verlust einiger Kälber, die von Geparden oder Leoparden gerissen wurden, bedrohte die Existenzgrundlage. So jagten auch die Hanssens die Raubkatzen, um ihre Herden zu schützen. Der jetzige Eigentümer Wayne Hanssen spaziert durch das goldgelbe, wogende Grasland. Mit dem Schwanz einer Oryxantilope fächelt er sich lästige Fliegen aus dem Gesicht. „Ich war noch ein Junge, als mich mein Vater fragte, ob ich einmal die Farm übernehmen will“, erinnert sich der heute 60-Jährige. „Ich liebe dieses Land, antwortete ich damals, aber eins ist klar: Ich werde auf keinen Fall Rinderfarmer.“ Sein Faible für die Wildnis und ihre Tiere war von Anfang an größer. Als Kind nutzt er jede freie Minute, wenn er nicht gerade in der Schule ist oder auf der Farm mithilft, um mit seinen San- und Himba-Freunden durch den Busch zu streifen. „Von niemandem hätte ich mehr lernen können als von ihnen.“

Wayne Hanssen, Eigentümer der Okonjima-Farm / © AfriCat

Als Erwachsene beschließen Wayne und seine Schwestern, den Eltern die Farm abzukaufen. Sie geben die Rinderzucht auf, wandeln das Farmland in ein Schutzgebiet um und gründen 1993 AfriCat. Ausgerechnet die ehemals größten Feinde des Familienbusiness – Leoparden – stehen im Mittelpunkt der gemeinnützigen Stiftung. Deren Ziel ist es, die Raubkatzen zu schützen und ihren Lebensraum in den Zustand umzuwandeln, in dem er sich vor der Viehhaltung befunden hat. „75 % des Landes waren dürr, wegen der Überweidung wuchs kein Grashalm mehr. Die Erosion, vor allem während der Regenzeit, zerstörte die Böden zusätzlich“, sagt Wayne. „Wir haben jahrelang hart gearbeitet, das Land Stück für Stück umgegraben, Samen gesät und die von der Schwarzdorn-Akazie überwucherte Savanne entbuscht.“

Zäune zum Schutz

Wayne erzählt, er habe, solange er sich erinnern kann, davon geträumt, in einem Naturschutzgebiet zu leben. Im Einklang mit den wilden Tieren – und ohne Zäune. „Irgendwann musste ich meinen Frieden machen und einsehen, dass es ohne Zäune nicht geht“, seufzt er. „In Okonjima stellen Menschen keine Bedrohung für Leoparden dar, die Tiere verlieren ihren Fluchtinstinkt. Aber sie streifen nun einmal umher und machen an der Grenze zu den Nachbarn, die entweder Rinderzucht oder Jagdfarmen betreiben, nicht Halt.“ Um vor allem die großen Raubkatzen zu schützen, lässt Wayne schweren Herzens einen hohen Elektrozaun um sein 200 km² großes Reservat bauen. Zäune schützen – das weiß auch Karen. Aber sie bringen auch Probleme mit sich. „Jetzt, wo wir die Landschaft renaturiert haben, versuchen wir, so wenig wie möglich in die Natur einzugreifen“, sagt die 56-Jährige. „Dennoch müssen wir das ökologische Gleichgewicht im Auge behalten. Schließlich können die Tiere aufgrund der Zäune nicht migrieren. Unsere Forschung beschäftigt sich intensiv mit allen Aspekten eines geschlossenen Schutzgebietes.“

Die Zäune sind zudem dafür verantwortlich, dass die Tiere im Reservat zwar wild leben, aber gleichzeitig an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt sind. Vor allem Touristen, aber auch Wissenschaftler, Tierärzte sowie Studenten von nationalen und internationalen Universitäten sind regelmäßig in Okonjima zu Besuch. Besonders die Touristen sind für die Stiftung überlebenswichtig. „Um unserer Verantwortung gegenüber dem Personal und den Tieren gerecht zu werden, konnten wir nicht ausschließlich auf Spenden vertrauen,“, erinnert sich Wayne. Zusammen mit seinem Team entscheidet er 1993, die Forschungsarbeit und die Schutzmaßnahmen hauptsächlich mit Einnahmen aus dem Tourismus zu finanzieren. Zwei Lodges, eine Villa und mehrere Campingplätze wurden seitdem gebaut, um die Touristen unterzubringen und ihnen das hautnahe Erlebnis des Okonjima-Naturreservats zu ermöglichen. „AfriCat und die gesamte Arbeit von Okonjima sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie der Tourismus zum Naturschutz beitragen kann“, findet Karen.

Krise überstanden

Die Rechnung geht auf, bis der Tourismus während der Corona-Krise vollkommen zusammenbricht. AfriCat musste die meisten Mitarbeiter entlassen und vorübergehend schließen. Karen unterstützte die Stiftung während dieser schweren Zeit tatkräftig und wurde nach der Pandemie mit dem Posten der Direktorin betraut. Auch Opari ist froh, dass er seinen Job als Guide wieder ausüben kann. Als ein leises Piepsen ertönt, bremst er, um die Antenne besser auszurichten. „Einige wenige meiner Safarigäste stören sich an den Senderhalsbändern. Die würden das Wildlife-Feeling beeinträchtigen“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Ich antworte dann immer: Diese Leoparden sind völlig wild. Dank der Forschung von AfriCat erhalten wir einen Einblick in ihr wildes Leben, den die meisten Menschen nie zu sehen bekommen!“