26.10.2023

Land & Leute

Was hat ein Obelisk aus Luxor in Paris zu suchen? Welcher Fußballer ist Ägyptens Superstar? Und was hat es mit dem Sonnenkult der Pharaonen auf sich? Hier erfahrt ihr es!

Land & Leute


Tausend Mal "Nein"

Bahia Shehab ist Kunsthistorikerin und Professorin an der Amerikanischen Universität in Kairo. Als 2011 die ägyptische Revolution ausbricht, treibt es auch die heute 45-Jährige auf die Straße. "Zu meiner eigenen Überraschung", erklärt sie gegenüber dem Deutschlandfunk Kultur. "Ich bin Historikerin. Ich habe zwei Kinder. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal auf der Straße aktiv werde. Aber als ich sah, wie Menschen auf offener Straße umgebracht wurden, wie ihre Leichen auf dem Müll lagen, im November 2011, sagte ich mir: Okay, es ist genug. Da kann ich nicht weiter zusehen."

Damals sprüht sie nachts zig Varianten von "Nein" in arabischer Schrift an Kairoer Häuserwände. Das Statement ihrer Stencils: Nein zu Gewalt. Nein zu Verstößen gegen die Menschenrechte. Nicht nur in der arabischen Welt, sondern überall auf der Erde. "Auf Arabisch haben wir eine Redewendung, die Ablehnung verstärkt: Nein und tausend Mal Nein", erklärt sie. "Und so habe ich nach tausend verschiedenen Neins gesucht." Für ihren Protest erhält sie als erste Frau den von der UNESCO vergebenen Sharjah-Preis für arabische Kultur.

Ein tonnenschweres Geschenk

Seit 1836 ziert der berühmte Obelisk, ein Monolith aus der Regierungszeit von Pharao Ramses II., die Place de la Concorde in Paris. Aber wie gelangt der 230 Tonnen schwere und 23 Meter hohe Steinkoloss in die französische Hauptstadt? Und warum? Im 19. Jahrhundert wuchs in Europa die Faszination für Ägypten. Gleichzeitig öffnete sich das Land gegenüber dem Westen und holte französische Experten ins Land – darunter auch Jean-François Champollion, der 1822 die Hieroglyphen entschlüsselt hatte.

Als Zeichen der Anerkennung versprach der Vizekönig von Ägypten Muhammad Ali Pascha dem französischen König zwei Obelisken aus dem Luxortempel. Sechs Jahre dauert es, bis einer der Obelisken unter gigantischem technischen Aufwand über den Nil, das Mittelmeer bis nach Toulon und weiter flussaufwärts auf der Seine bis nach Paris gebracht wird. Nach heftigen Streitigkeiten, wo das Prestigemonument aufgestellt werden soll, entscheidet sich König Louis-Philipe für die Place de la Concorde. Weil der technische und finanzielle Aufwand für den Transport des zweiten Obelisken zu groß ist, gibt ihn Frankreich offiziell an Ägypten zurück – allerdings erst im Jahr 1981.

Ägyptischer Fußballgott

Als Mo Salah zum FC Liverpool wechselt, wird er unter Trainer Jürgen Klopp zum ersten Weltklassefußballer Ägyptens. Neben seinen sportlichen Erfolgen setzt sich der 31-Jährige für Frauenrechte in der islamischen Welt und für religiöse Toleranz ein. In seiner Heimat wird Salah gefeiert – viele seiner Landsleute würden ihn am liebsten als Staatsoberhaupt sehen.

2018 erhielt er bei der Präsidentschaftswahl mehr als eine Million Stimmen, obwohl er gar nicht zur Wahl aufgestellt war. Dazu strichen die Wähler die beiden offiziellen Kandidaten durch und schrieben Salahs Namen auf den Stimmzettel. Mit vier Prozent der Wählerstimmen, die allerdings ungültig waren, lag er damit noch vor Moussa Mustafa Moussa, dem eigentlichen Herausforderer von Präsident Abd al-Fattah as-Sisi. Vielleicht auch, weil er trotz seines Erfolges die Nöte des Volkes versteht? Nach einem Einbruch in sein Elternhaus in Kairo während eines WM-Qualifikationsspiels setzt sich Salah dafür ein, dass der Täter, den die Polizei zwei Tage später fasst, nicht bestraft wird. Im Gegenteil: Er schenkt ihm Geld und hilft ihm bei der Jobsuche.

Die bekannteste Bibliothek der Welt

Die Bibliothek von Alexandria war die bedeutendste Bibliothek der Antike. Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. wird sie in der Hafenstadt Alexandria gegründet und beherbergt einen unvergleichlichen Schatz an Schriftrollen aus allen Wissensgebieten. Weder ihr Ende kann exakt datiert werden – Spekulationen reichen von 48 v. Chr. bis ins 7. Jahrhundert n. Chr. – noch ist der Grund ihrer Zerstörung geklärt. Mit dem modernen Kultur- und Wissenschaftszentrum, dessen Herzstück die neue Bibliothek von Alexandria bildet, knüpft der ägyptische Staat an die antike Tradition an. Mit finanzieller Hilfe der UNESCO und mehrerer europäischer Regierungen kann der 167 Millionen Euro teure, architektonisch beeindruckende Bau 2002 eröffnet werden.

Die Bibliothek beinhaltet Bücher in zahlreichen Sprachen und besitzt die sechstgrößte Sammlung französischer Bücher weltweit. Besonders bemerkenswert ist die digitale Abteilung. Die Mitarbeiter erfassen jedes Buch digital. Dazu werden täglich zwischen 100 und 200 Bücher eingescannt. Direktor Ismail Serageldin sagt gegenüber „Business Insider“: „Wir haben zum ersten Mal die Möglichkeit, das gesamte Wissen der Welt allen Menschen jederzeit zur Verfügung zu stellen.“ Doch es gibt auch kritische Stimmen zur Neuen Bibliothek. Der inzwischen verstorbene John Rodenbeck, Experte für alte und neue Geschichte Alexandrias an der American University in Kairo, bezeichnete es als absurd, „eine solche Summe für eine sogenannte internationale und kolossale Bibliothek in einer Stadt auszugeben, die vor Armut, Verfall und Dreck starrt.“ (Neue Zürcher Zeitung)

Pharao der Literatur

Der in Kairo geborene Nagib Machfus (1911 bis 2006) gilt als der bedeutendste moderne Schriftsteller Ägyptens. Er schrieb zahlreiche Romane, Novellen, Prosa sowie Drehbücher und Theaterstücke. Mit dem Buch „Die Midaq-Gasse“ (1947) gelingt ihm der Durchbruch in der arabischen Welt. Darin schildert er den Alltag der kleinen Leute in einer Kairoer Altstadtgasse. Seine „Kairoer Trilogie“ („Zwischen den Palästen“, „Palast der Sehnsucht“ und „Zuckergässchen“), in der er die Geschichte einer Kairoer Kaufmannsfamilie über drei Generationen hinweg erzählt, macht ihn weltweit berühmt.

Das Buch „Die Kinder unseres Viertels“ von 1959, eine Parabel auf die Menschheitsgeschichte mit Figuren, die an Adam, Moses, Jesus und Mohammed erinnern, steht lange Zeit auf dem Index Ägyptens und wird erst 2006 auf Arabisch veröffentlicht. 1988 erhält Machfus als bislang einziger arabischer Schriftsteller den Literaturnobelpreis – für islamistische Fundamentalisten eine Provokation des Westens. Bis ins hohe Alter setzt er sich in seinen wöchentlichen Kolumnen in „al-Ahram“, der größten Tageszeitung Ägyptens, für mehr Demokratie, freie Debatte, freie Parteien, den Rechtsstaat, soziale Gerechtigkeit und für eine gute Ausbildung ein. Als 82-Jähriger wird Machfus von Attentätern mit Messern in den Hals gestochen und schwer verletzt. Bis zu seinem Tod lebt er unter Polizeischutz, gibt seine liberalen Ideen aber nie auf.

Der Schlüssel zur Entschlüsselung

Bis heute zählt der Stein von Rosetta, auf den französische Soldaten 1799 in der gleichnamigen ägyptischen Hafenstadt zufällig stoßen, zu den bedeutendsten archäologischen Funden der Geschichte. Auf der unscheinbaren schwarzen Steinplatte, einem Stelenfragment aus Memphis, ist eine Verordnung altägyptischer Priester in drei Sprachen eingemeißelt: in Hieroglyphen, Demotisch (einer Entwicklungsstufe des Ägyptischen) und Griechisch. Zur weiteren wissenschaftlichen Untersuchung soll der Fund nach Frankreich gebracht werden, doch 1801 kommt es zum Krieg zwischen Briten und Franzosen. Als Sieger erbeutet die britische Armee auch die altägyptischen Artefakte der Gegner.

So gelangt der Stein von Rosetta 1802 nach London, wo er bis heute im British Museum ausgestellt ist. Verschiedene Gelehrte aus ganz Europa versuchen, mit Hilfe des Griechischen die Hieroglyphen zu entziffern, doch erst 1822 gelingt dies dem französischen Sprachwissenschaftler Jean-François Champollion. Auf Basis des Steins gibt er damit anderen Gelehrten das nötige Werkzeug an die Hand, Hieroglyphentexte zu entziffern. Mehrere Petitionen Ägyptens fordern das British Museum auf, sein meistbesuchtes Ausstellungsstück zurückzugeben. Der Stein sei illegal beschlagnahmt worden und ein Symbol kultureller Gewalt des Westens. Bislang zeigt sich das Museum unnachgiebig.

Ihre Mission: Liebe

Das Jahr 2011 hat nicht nur Ägypten verändert, sondern auch das Leben von Monelle Janho. Die Ägypterin, die viele Jahre als Tourguide in Kairo und später als Französischlehrerin am Institut Français d‘Egypte gearbeitet hat, entscheidet sich im Revolutionsjahr, ihren lebenslangen Traum von einer Künstlerkarriere zu verwirklichen. „Ich wollte mir persönlich die Freiheit gönnen, das zu tun, was ich wirklich will.“ Die größte Hürde sei sie selbst gewesen, erkennt sie rückblickend. „Denn ich hatte Angst, nicht gut genug zu sein.“

Ihre Gemälde und Skulpturen, die allesamt Frauen zum Thema haben, sind mittlerweile von Sammlern in Monaco, Frankreich, den USA, Deutschland und vielen anderen Ländern gefragt. „Da Familie und Liebe den wichtigsten Stellenwert in meinem Leben einnehmen, sehe ich es als meine Mission an, Liebe in meiner Kunst auszudrücken“, sagt die 57-Jährige. „Außerdem beschäftige ich mich viel mit außergewöhnlichen Frauen. Besonders berührt hat mich das Schicksal von Jina Mahsa Amini.“ Im Gedenken an die junge Frau, die in Polizeigewahrsam starb und die Massenproteste im Iran auslöste, hat sie zwei Bilder gemalt, die schlicht den Titel „Mahsa“ tragen.

Sonnenkult

Die Verehrung der Sonne und des Sonnengottes Re gehen im antiken Ägypten so weit, dass selbst die Pyramiden nach dem Lauf der Sonne erbaut wurden. Ihre Seitenflächen sind exakt nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet und symbolisieren die verschiedenen Stadien des Seins: die Geburt (Sonnenaufgang im Osten), das Leben (höchster Sonnenstand im Süden), den Tod (Sonnenuntergang im Westen) und die Wiedergeburt (erneuter Sonnenaufgang). Nach dem Glauben der alten Ägypter steigt die Seele des Pharaos entlang der Sonnenstrahlen zum Sonnengott auf und wird dadurch unsterblich.

Eine besondere Rolle spielt die Sonne auch im Tempel von Abu Simbel. An exakt zwei Tagen im Jahr, am 22. Februar und am 22. Oktober, steht die Sonne über Ägypten so, dass sie durch den Tempeleingang hineinstrahlt und die Statuen von Reichsgott Amun-Re, Pharao Ramses und Sonnengott Re-Harachte in 60 Metern Tiefe erleuchtet. Nur ihr steinerner Kollege Phta, der Gott der Finsternis, bleibt weiterhin im Dunkeln. Ägyptologen dachten lange, die Daten seien der Geburtstag und der Krönungstag von Ramses. Inzwischen hat sich die Ansicht etabliert, dass die Tage den Beginn der Landwirtschaftssaison und den Beginn der Weizen- und Maisernte markieren. Was auch immer die Daten bedeuten – sicher ist, dass das als „Sonnenwunder“ bekannte Spektakel jedes Jahr Tausende Touristen in den kleinen Ort Abu Simbel lockt – den Bauingenieuren und Wissenschaftlern sei Dank, denn sie haben beim Wiederaufbau der Tempelanlage größten Wert auf die exakte originale Ausrichtung gelegt.