31.05.2023

Land & Leute

Wer ist Vietnams Superstar? Welche neuen Tierarten wurden schon wieder am Mekong entdeckt? Und wie wurde aus einem ehemaligen Flüchtling ein Oscar-Preisträger? Hier findet ihr es heraus!

Land & Leute

Vietnam in Schwarzweiß

Es waren Schnappschüsse seines Onkels, die ihn zum Fotografieren brachten – 13 Jahre war Long Thanh da alt. Der Vietnamkrieg durchkreuzte seine Karrierepläne, erst nach dessen Ende begann er, professionell zu fotografieren. Zuerst Hochzeitspaare, dann seine Heimatstadt Nha Trang. Irgendwann wurden die ersten Galeristen auf ihn aufmerksam, später Sammler, dann Museen. Irgendwann galt Long Thanh als berühmtester Fotograf des Landes.

Es ist ein Vietnam im Verschwinden, das man auf seinen Schwarzweiß-Fotografien sehen kann, einfache Häuser, schmale Gassen, kleine Läden, alte Tempel. Und die Menschen des Landes natürlich. Long Thanhs Porträts strahlen jene Gelassenheit und Würde aus, denen man auf einer Reise durch das Land so oft begegnet.

In seiner Nha Tranger Galerie in der Nähe des berühmten Badestrandes kann man seine Fotos sehen und auch kaufen. Manchmal sitzt der 72-Jährige selbst auf einem Stuhl in der Ecke der Galerie und betrachtet die Besucher. Als sei er auf der Suche nach dem nächsten Motiv.

(126 Hoang Van Thu Street, Nha Trang, http://longthanhart.com).

The Duc Ngo bringt Berlin zum Kochen

Der Koch, der mittlerweile vierzehn Restaurants in Deutschland betreibt, kam mit fünf Jahren als Flüchtlingskind aus Hanoi nach Berlin. The Doc Ngo machte sein Abitur, studierte Japanologie und brachte sich das Kochen mehr oder weniger autodidaktisch bei. Nach Stationen bei McDonald’s (!), einem Sushi-Restaurant in Moskau und ausgedehnten Reisen hatte er seinen Stil gefunden. Gastro-Kritiker bezeichnen den 49-Jährigen als "König der asiatischen Fusion-Küche". Er mache "von allem etwas", hat er selbst mal in einem Interview mit der Zeitschrift "Feinschmecker" gesagt, schließlich sei er selbst ja auch so: "Da bin ich wie meine Speisekarten: ein gemischter Mensch sozusagen mit vietnamesischen Wurzeln und chinesischen, japanischen und koreanischen Einflüssen."

Fotocredit: John Bauer

Zukunftspläne? Natürlich hat er die. Der Mann, der mit Asiens Gemüsen und Kräutern kleine Wunder wirken kann, liebt die deftige deutsche Küche. Vor allem Suppen und Eintöpfe. Die gebe es ja kaum noch in den Restaurants, hat er neulich gesagt: Vielleicht sei das sein nächstes Projekt.

Auf den Leib geschneidert

Maßgeschneiderte Anzüge, Hemden oder perfekt sitzende Sommer- und Abendkleider: Thailand-Urlauber kennen solche Souvenirs längst. Noch einmal deutlich preiswerter wird es, wenn man sich seine Kleidung in Vietnam schneidern lässt. Ein Herrenanzug kostet hier umgerechnet unter 200 €, ein Hemd 30 €, ein Abendkleid etwa 60 €.

Die Textilindustrie im Land hat eine lange Tradition. Viele internationale Firmen lassen ihre Kleidung mittlerweile in Vietnam herstellen, die Zahl der Fachkräfte ist groß. Kleinere Schneidereien gibt es überall im Land; besonders viele sind es in Hoi An, über 500 angeblich. Wer schon vor der Reise weiß, was er möchte, bringt am besten Fotos von Anzügen und Kleidern mit (die meisten Schneider haben aber auch stapelweise europäische Modemagazine im Laden). Vor allem bei Anzügen sollte die Schneiderei mindestens zwei, besser drei Anprobe-Termine anbieten – was natürlich bedeutet, dass man ein paar Tage vor Ort sein muss. Ebenfalls wichtig: Man sollte sich seine Bestellungen nicht nach Deutschland schicken lassen, sondern selbst abholen. Das erspart einem mögliche Enttäuschungen beim ersten Anziehen.

Von überirdischer Schönheit

Fast sechs Millionen Follower auf Facebook, fünf Millionen auf Instagram, Werbe-Ikone und gefeierte Schauspielerin: In ihrer Heimat Vietnam (und der Expat-Diaspora) ist Ninh Duong Lan Ngoc längst ein Superstar. Ihr Foto hängt in hunderttausenden Jugendzimmern, manche ihrer YouTube-Videos haben zwanzig Millionen Abrufe. Wenn jemand wie Lan Ngoc abends im Fernsehen erklärt, für den Teint sei es besser, den Tag mit etwas Gemüse und nicht mit einem Croissant zu beginnen, kann man davon ausgehen, dass Vietnams Bäckereien das am nächsten Morgen merken.

Lan Ngocs Karriere begann mit einem Spielfilm: „Floating Lives“ machte seine Hauptdarstellerin 2010 über Nacht bekannt. Schon damals fiel die beinahe überirdische Schönheit der heute 32-Jährigen auf, und es dauerte nicht lange, bis sich erste Kosmetikfirmen meldeten. Facebook, Instagram und TikTok ließen sie dann zum Idol einer Generation junger Vietnamesinnen werden.

Brücke, feuerspuckend, wasserspeiend

Warum eigentlich ist früher noch keinem Architekten aufgefallen, dass die Bögen einer Brücke aussehen können wie der Rücken eines Drachens, der einen Fluss durchquert? Und dass man am Ende einer solchen Brücke nur noch einen großen Kopf installieren muss, um eine neue Touristenattraktion zu bekommen?

Da Nangs 600 Meter lange Dragon Bridge (Cau Rong) über den Han River wurde 2013 für den Verkehr eröffnet. Sie verbindet den Flughafen mit den Strandvierteln und wurde schnell zu einem beliebten Fotomotiv der Großstadt im Zentrum der vietnamesischen Küste. Sobald es dunkel wird, glitzert und glimmert der Lindwurm nämlich mit tausenden LED-Leuchten. Noch heller wird es, wenn das Metallmonster samstag- und sonntagabends Punkt 21 Uhr Feuer speit (während der Verkehr unter ihm weiterrollt). Anschließend spuckt der Drache dann immer noch einen großen Schwall Wasser hinterher. Man weiß ja nie.

Die mahnende B 52

Fast ein halbes Jahrhundert ist das Ende des Vietnamkriegs mittlerweile her (vor Ort wird er übrigens American War genannt); ein Großteil der heutigen Bevölkerung wurde erst nach seinem Ende geboren. Damit auch folgende Generationen die Schrecken des Krieges nicht vergessen, hat die Stadtverwaltung Hanois schon sehr früh beschlossen, ein abgeschossenes amerikanisches Flugzeug an der Absturzstelle zu belassen. Das Wrack der B 52 ragt als Mahnmal aus dem Huu Tiep Lake mitten in Hanoi.

Die Maschine gehörte zu jenen Verbänden, die während des sogenannten Christmas Bombing an Weihnachten 1972 Ziele im Norden Vietnams angriffen. Über 1300 Zivilisten kamen dabei ums Leben; die nordvietnamesische Armee schoss fünfzehn amerikanische B-52-Bomber ab. Eines der Flugzeuge stürzte in den Teich im Wohnviertel Ngoc Ha. Vom Ho-Chi-Minh-Museum im Zentrum braucht man zu Fuß etwa zwanzig Minuten bis zu dem Mahnmal.

Vom Waisenkind zum Wirtschaftsminister

Eine Zeitlang galt er als Zukunftsversprechen der deutschen Politik: Philip Rösler wirkte frisch, sympathisch und zupackend – und damit ganz anders als die meisten anderen auf dem Berliner Parkett. Erfolgreich war er obendrein: Bundesgesundheitsminister, Bundeswirtschaftsminister, FDP-Vorsitzender, Vizekanzler. Da war Rösler, der als kleiner vietnamesischer Junge von einem deutschen Ehepaar adoptiert worden ist, gerade Ende 30.

Als die FDP 2013 aus dem Bundestag flog, verließ er die Politik und ging in die Wirtschaft. Rösler leitete eine Stiftung in New York, ist Aufsichtsratsmitglied in mehreren Unternehmen und war Geschäftsführer des World Economic Forum in der Schweiz, deren Honorarkonsul für Vietnam er heute ist.

Neulich hat Rösler das Waisenheim im Mekong-Delta besucht, aus dem ihn seine Eltern adoptiert haben. Es hat ihn sehr bewegt, wie er später in einem Interview erzählte. "Beim Blick aus dem Fenster kam mir schon der Gedanke, was wohl aus mir geworden wäre, hätte es das Schicksal nicht so gut mit mir gemeint."

Schöner wohnen: Da Lat Palace

Herrschaftlicher als das Da Lat Palace thront kein anderes Hotel im Land über seiner Stadt, und geschichtsträchtiger kann man kaum übernachten. Die Franzosen haben es 1922 in Da Lat bauen lassen, 1500 Meter über dem Meer, die Hitze Vietnams ist hier meist nur eine Erinnerung. In den 1990er-Jahren wurde mit viel Geld restauriert, damals kümmerten sich Experten aus Paris nicht nur um Fassaden und Flure, sondern auch um historische Telefone, Kronleuchter und die Badewannen mit den Löwenfüßen. Herausgekommen ist ein Hotel wie eine Zeitschleuse: Kaum schließen sich die Lobbytüren hinter dem Gast, legt irgendwer irgendwo im Universum einen Schalter um, und es ist wieder 1925. Ein uniformierter Angestellter reicht einen citron pressé. Die Louis-Quinze-Chaiselongue lockt. Und die Teakbohlen im Zimmer glänzen matt, als wollten sie an all die anderen Füße erinnern, die über sie gegangen sind. Ein Blick in die Weinkarte des Palastrestaurants "Le Rabelais", und man ist versucht, leise die Marseillaise zu pfeifen. Für einen Moment zumindest.

Und wenn Da Lat nicht auf der Reiseroute liegt: Alte Kolonialhotels gibt es noch einige in Vietnam. Das Continental, das Grand Hotel und das Majestic in Saigon zum Beispiel, oder das Metropole in Hanoi. Alle lohnen wegen ihrer wunderbaren Atmosphäre einen Besuch – und sei es nur für einen Drink an der Bar.

Am Mekong was Neues

Während sich das Artensterben überall auf der Welt immer weiter beschleunigt, tauchen am Mekong jährlich neue Tier- und Pflanzenspezies auf: Allein 2021 waren es 224! Unter den Neuen waren nicht nur winzige Insekten und unauffällige Moose, sondern auch so spektakuläre Funde wie Trachypithecus popa: Der Affe sieht mit seiner markanten Gesichtszeichnung aus, als trage er eine helle Motorradbrille.

200 bis 250 Exemplare der Langurenart sollen im Deltagebiet noch leben. Was natürlich bedeutet, dass die Affen gleich nach ihrer Entdeckung auf die Rote Liste der gefährdeten Arten gekommen sind. Genau wie Leptobrachium lunatum, eine Froschspezies, die ebenfalls in den Feuchtgebieten des Deltas aufgestöbert wurde. Die Greater Mekong Area gilt übrigens schon länger als Hotspot für Forscher: In den letzten 25 Jahren wurden hier über dreitausend neue Arten entdeckt.

Bester Nebendarsteller

Bis vor Kurzem gab es von Ke Huy Quan eigentlich nur Kinderfotos im Internet. Auf denen war er allerdings mit Steven Spielberg zu sehen, neben Drew Barrymore und immer wieder mit Harrison Ford. Mit dem hatte er 1984 in "Indiana Jones und der Tempel des Todes" gespielt. Zwölf Jahre war er da alt und über Nacht ein Hollywoodstar.

Und dann: passierte nichts. Eine größere Rolle bekam Ke Huy Quan noch, in "Die Goonies", und verschwand anschließend von der Bildfläche. Als Siebenjähriger war er mit seiner Familie aus Saigon geflohen und über ein Flüchtlingslager in Hongkong 1979 in die USA gekommen, wo er schnell zum Filmstar wurde. Den Hollywood schnell wieder vergessen hatte.

Und jetzt: Hat Ke Huy Quan einen Oscar gewonnen. Im März 2023, als bester Nebendarsteller in "Everything everywhere all at once". Nach Jahrzehnten ohne Rolle. In denen er längst aufgegeben hatte, an eine Karriere als Schauspieler zu glauben. "Es heißt ja immer, so was gebe es nur im Kino", hat er bei der Oscar-Verleihung gesagt, "ich kann immer noch nicht glauben, dass es mir jetzt passiert."