Land & Leute

Welcher Dauergast in deutschen TV-Shows stammt aus Irland? Welches Buch würdigt Dublin jedes Jahr mit einem eigenen Feiertag? Hier findet ihr es heraus!

Land & Leute

Annonce mit Folgen

„Sänger sucht Band für Platte und Tour.“ Diese sieben Wörter haben das Leben von Raymond Michael Garvey für immer verändert. Nur wenige Monate, nachdem der damals 25-jährige Ire nach Deutschland ausgewandert war, um seiner Musikkarriere einen Schub zu verpassen, schaltete er diese Anzeige in einer Zeitung – und fand einen Gitarristen, einen Bassisten, einen Schlagzeuger und einen Keyboarder. Der Rest ist Geschichte: 1998 gründeten die fünf Musiker die Band Reamonn, schon ein halbes Jahr später ergatterten sie einen Plattenvertrag. Und der Sänger, der Mitstreiter für den großen Erfolg suchte, ist seitdem als Rea Garvey europaweit bekannt. Vor allem in Deutschland ist der 1973 in Tralee geborene Ire, der 2010 seine Solokarriere startete, nicht mehr aus Konzerthallen und TV-Shows wie „The Voice“ wegzudenken. Ganz anders in seiner alten Heimat: „Ich kann einfach in eine Kneipe gehen und keinen interessiert das. (…) In Irland habe ich noch immer das Leben, das ich kannte, bevor ich erfolgreich war“, erzählt Garvey in einem Interview. Perfekt für kleine Auszeiten vom Starrummel. Wo genau man den 49-Jährigen dann findet? Zum Beispiel am Strand von Banna, nicht weit von seiner Geburtsstadt entfernt. „Ein unvergleichlicher Ort", schwärmt er auf Instagram.

Sänger Rea Garvey in Aktion.


Eine Frau für jede Rolle

Sie scheint mühelos durch die Zeit zu tänzeln: kämpft als schottische Königin in „Maria Stuart“ gegen die Komplotte im 16. Jahrhundert, behält in „Little Women“ während des Amerikanischen Bürgerkriegs die Nerven und versucht in „Lady Bird“, als Teenagerin der kalifornischen Langeweile der frühen 2000er zu entkommen. Keine Frage: Saoirse Ronan kann offenbar jede Rolle spielen – und tut das mit sehr großem Erfolg. 1994 in New York City geboren, zieht sie mit drei Jahren nach Irland, die Heimat ihrer Eltern. Mit einer Rolle in einer irischen Krankenhausserie legt die junge Schauspielerin schon sechs Jahre später den Grundstein für ihre Karriere. 2008 dann der erste Höhepunkt: eine Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellerin in „Abbitte“. Zwar konnte Saoirse Ronan die begehrte Statue bisher noch nicht mit nach Hause nehmen, dafür aber drei weitere Nominierungen verbuchen. Wenn sie nicht gerade vor der Kamera steht, führt die 28-Jährige in Irland ein eher zurückgezogenes Leben. Privates auf Social Media teilen? Nicht mit Saoirse Ronan! Ein Geheimnis können wir jedoch lüften: Ihren gälischen Vornamen spricht man „Sörscha“ aus.

Saoirse Ronan bei den BAFTA-Awards 2022 in Glasgow.


Heißgeliebter Delfin

Auf einmal war er da. 1983 tauchte in der Bucht des Städtchens Dingle im Südwesten Irlands ein Delfin auf – und blieb. Fungie, so tauften die Einwohner den Tümmler bald, hatte keinerlei Scheu vor Menschen. Er spielte mit Schwimmern, Surfern und Tauchern, er begleitete Schiffe, er half sogar den Fischern bei der Arbeit, indem er Fische auf ihre Boote warf. Kein Wunder, dass immer mehr Touristen in den kleinen Ort kamen: Fungie war ein echter Star, im Hafen von Dingle stellte die Gemeinde sogar eine Bronzestatue von ihm auf. Und wie es immer so ist, florierte natürlich auch das Geschäft mit dem tierischen Dauergast – Bootstouren und Souvenirs spülten viel Geld in die Kassen. 2019 stellte der beliebte Meeressäuger schließlich einen Weltrekord auf: als ältester Einzelgänger-Delfin der Welt. Doch dann kam der 13. Oktober 2020. Fungie war weg. Tagelang suchten Tourenanbieter, Fischer und sogar Rettungstaucher die komplette Küste ab – vergeblich. Wahrscheinlich ist der Tümmler an Altersschwäche gestorben, schließlich war er mit seinen über 40 Jahren schon ein Delfin-Opa. Ein Jahr nach seinem Verschwinden ehrten die Menschen in Dingle ihren berühmtesten Einwohner mit einer Bootsprozession auf dem Meer. Am selben Tag wurde auch Dingles neueste Sehenswürdigkeit enthüllt: ein riesiges Wandgemälde von Fungie.

Fungie bei seiner Lieblingsbeschäftigung: mit Menschen spielen.


Festival der einsamen Herzen

Es ist karg im Burren, dieser Karstlandschaft im Westen Irlands. Steine, wohin man auch blickt. Doch im winzigen Hauptort Lisdoonvarna ist alles rosarot – zumindest im September. Denn dann findet jedes Jahr das einmonatige Matchmaking Festival statt, und das schon seit 1857. Zehntausende Singles aus der ganzen Welt pilgern dann zu einem der größten Heiratsmärkte Europas. Gemeinsam tanzen, singen und trinken sie in den Pubs, von früh bis spät, immer auf der Suche nach dem Partner oder der Partnerin fürs Leben. Oder sie sprechen bei Willie Daly vor, dem letzten Matchmaker der Region. Schon sein Großvater stellte Heiratswilligen potentielle Partner vor, in den 1960er-Jahren hat Daly den Job übernommen. Sein Geheimrezept: Reden, Tanzen – und ein 160 Jahre altes Buch, in dem er handschriftlich Dating-Profile notiert und das angeblich magische Kräfte hat. Wer die Heiratsbibel berührt, tritt laut dem Matchmaker innerhalb von sechs Monaten vor den Altar. Wie viele Ehen dank Willie Daly schon geschlossen wurden? Die Zahlenangaben schwanken zwischen 3000 und 6000 – so oder so ein beeindruckendes Ergebnis. Weniger romantisch ist übrigens der Ursprung des Matchmaking Festivals: Alles begann mit einem Viehmarkt.


Selbstbewusster Gründer

Mit seinem unerschütterlichen Optimismus wäre er wahrscheinlich selbst in dem nach ihm benannten Buch der Rekorde gelandet: Als Arthur Guinness 1759 seine Brauerei am St. James’s Gate in Dublin gründet, verlangt er nach einem Pachtvertrag nicht über 90 Jahre, nicht über 900 Jahre, sondern über sage und schreibe 9000 Jahre. Und das Wunder geschieht: Sein Gegenüber stimmt zu, und so unterschreibt der damals 34-jährige Geschäftsmann einen Pachtvertrag bis 10759 – für jährlich 45 Pfund. Das Selbstvertrauen hat sich gelohnt, heute zählt Guinness zu den bekanntesten Brauereien der Welt. Zwar sind zahlreiche Standorte in knapp 50 Ländern weltweit dazugekommen, doch auch am St. James’s Gate wird heute weiterhin gebraut. Und das immer noch für 45 Pfund Pacht jährlich? Darüber schweigt sich das Unternehmen aus.


Bloomsday

Den St. Patrick’s Day kennt jeder. Aber sagt euch der Bloomsday etwas? In Irland ist dieser Feiertag genauso bekannt und wird seit 1954 jeden 16. Juni in Dublin  begangen. Dann kommen Tausende Literaturfans in die irische Hauptstadt, um den Roman „Ulysses“ zu ehren.

Das 1922 erschienene Hauptwerk des irischen Schriftstellers James Joyce gilt als künstlerischer Meilenstein und hat die moderne Literatur maßgeblich beeinflusst. Namensgeber des Gedenktags ist die Hauptfigur des Buchs, Leopold Bloom. Gefeiert wird am 16. Juni, weil der Roman auf tausend Seiten Blooms Streifzug durch Dublin an einem einzigen Tag, dem 16. Juni 1904, beschreibt. Und das so detailliert, dass Fans des Romans die Ereignisse an realen Orten „nachspielen“ können. Und so geht’s: Strohhut auf, ein Monokel ins Auge geklemmt und erst mal wie Mr. Bloom eine in Butter angebratene Schweineniere frühstücken. Dann weiter in die Eccles Street No. 7, seinem Wohnhaus im Roman. Eine Zitronenseife bei Sweny’s in Lincoln Place kaufen, und schon ist es Zeit für das obligatorische Gorgonzolabrot und ein Glas Burgunder bei Davy Byrne’s in der Duke Street No. 21. Später kann es dann hinaus zur Sandycove gehen, wo Joyce‘ Roman furios auf dem Dach des Martello Tower beginnt. Heute ist im Turm das James-Joyce-Museum untergebracht, das an Bloomsdays mit Lesungen und anderen Veranstaltungen lockt.


Bölls Irland

Wohl niemand hat das Irlandbild der Deutschen so geprägt wie der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll. Sein 1957 erschienenes „Irisches Tagebuch“ traf einen Nerv der Zeit. Böll romantisiert darin das irische Leben. Die Menschen sind arm, aber glücklich, sie leben im Einklang mit der Natur, die Straßen gehören noch den Kühen und nicht den Autos, im kleinen Cottage flackert das Torffeuer, im Hof tobt eine wilde Kinderschar. Niemand jagt wie im deutschen Wirtschaftswunder besessen dem Geld hinterher.

Böll wusste, dass er ein sehr einseitiges Bild von Irland zeichnet. Das Motto, das er dem Buch voranstellte, zeigt es: „Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor.“ Sein Buch löste dennoch eine wahre Völkerwanderung auf die Insel aus: Es kamen Menschen, die unzufrieden mit den gesellschaftlichen Entwicklungen in Nachkriegsdeutschland waren, Aussteiger auf der Suche nach dem glücklichen Leben, aber auch Leute, die hier einfach die Gelegenheit für einen preiswerten Urlaub mit viel Bier im Pub witterten.

Böll selbst verbrachte von 1954 bis 1973 jedes Jahr mehrere Monate auf Achill Island ganz im Westen Irlands, kaufte sich dort 1958 sogar ein kleines Cottage in der Nähe von Kells. In einem Essay 13 Jahre nach Erscheinen seines Buches stellte er fest, dass sich das von ihm geschilderte Irland stark gewandelt hat. Heute würde er sein Irland wohl überhaupt nicht mehr wiedererkennen. Das Land ist eines der wohlhabendsten in Europa, Geld gibt es mehr als genug, das Wirtschaftswunder mit all seinen Vor- und Nachteilen ist längst in Irland angekommen.

Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll

Verheizte Feuchtgebiete

Moore machen rund 20 Prozent der Fläche Irlands aus. Sie prägen die irische Landschaft, sind Heimat für eine seltene Tier- und Pflanzenwelt – und dienen als wichtiger Energielieferant. Schon seit Jahrhunderten gehen die Bauern ins Moor, um Torf zu stechen. Die Ballen werden getrocknet und als Torfbriketts zum Heizen und Kochen verwendet. Noch heute ziehen in Irland, vor allem im Westen, an nass-kalten Tagen Rauchschwaden der Torffeuer über die Dörfer und verbreiten ihr typisches Aroma.

Doch damit soll bald Schluss sein. Denn Moore sind wichtig für den Klimaschutz. Sie sind ein bedeutender CO2-Speicher, können aber zu einer riesigen CO2-Quelle werden, wenn sie trockengelegt und verheizt werden. Nach langen Diskussionen ist in Irland zunächst der industrielle Torfabbau eingestellt worden: 2020 ging das letzte große mit Torf betriebene Elektrizitätswerk vom Netz und das halbstaatliche Unternehmen Bord na Móna stellte den industriellen Torfabbau ein. Moore werden jetzt unter Schutz gestellt und trockengelegte Feuchtgebiete wieder bewässert. Zum privaten Gebrauch darf Torf für eine Übergangszeit weiterhin gestochen werden – wer damit aufhört, den unterstützt der Staat mit 1500 Euro jährlich über 15 Jahre.


Schwerreiches Brüderpaar

Erst Anfang dreißig, aber jeweils schon deutlich über sieben Milliarden Euro schwer: Die Brüder Patrick und John Collison, 1988 bzw. 1990 in Irland geboren und in Limerick aufgewachsen, zählten 2022 zu den 300 reichsten Menschen der Welt. Ihr Geld verdienen sie mehr oder weniger mit den Finanztransaktionen anderer. 2010 gründeten sie gemeinsam das Unternehmen Stripe, das sie bis heute leiten. Stripe wickelt für Internetfirmen und E-Commerce-Händler Zahlungen im Hintergrund ab. Mit rund 95 Milliarden US-Dollar ist die Firma mittlerweile fast so viel wert wie das Raumfahrtunternehmen SpaceX von Elon Musk. Unter anderem war es auch Musk, der bei dem Start-up als Risikogeldgeber fungierte. Kein Wunder also, wenn die Collisons da durchstarteten. Aber macht das viele Geld glücklich? Patrick Collison jedenfalls setzte auch privat zum Höhenflug an und heiratete im Juni 2022 seine Jugendliebe ...

Patrick Collison (links) und sein Bruder John.