Land & Leute
Rockröhre und späte Mutter
Dass sie zwischen Törtchen aufgewachsen ist, hatte auf sie offenbar keinen bleibenden Einfluss. Denn ein süßes Mädchen ist Gianna Nannini bestimmt nicht geworden. Die Rockröhre, Tochter einer Konditorendynastie aus Siena, sorgt für Skandale, eckt an und fasziniert mit ihrer rauchigen Reibeisenstimme. Auf dem Cover ihres ersten Erfolgsalbums „California“ von 1979 reckt die amerikanische Freiheitsstatue einen Vibrator in den Himmel. Nannini wird zu einer Ikone des Feminismus und Hitproduzentin ersten Ranges. „Latin Lover“ oder „Bello e impossibile“ dröhnen in den 1980er-Jahren aus den Lautsprechern. Später lässt sie es mit elektronischer Musik und Klassikanklängen etwas ruhiger angehen, sorgt aber 2010 noch einmal für Aufsehen, als sie mit 54 oder gar 56 Jahren (ihr Alter ist geheimnisumwoben) zum ersten Mal Mutter wird. Ein Leben auf der Überholspur also, übrigens ganz wie bei ihrem Bruder Alessandro, der für Minardi und Benetton Formel-1-Rennen fuhr.
America (aus „California“)
Damals (1979)
https://www.youtube.com/watch?v=jZE60MqkBno
Und heute (2016)
https://www.youtube.com/watch?v=_Aeb43Sywb4
Kult auf zwei Rädern
Piaggio, im Zweiten Weltkrieg ein bedeutender Flugzeughersteller, brachte 1946 ein ganz anderes Fluggerät auf den Markt, die „Wespe“: ein praktisches und günstiges Verkehrsmittel für jedermann im Italien der Nachkriegszeit – und passend auch für enge Gassen. Seither brummen Millionen Vespas über die Straßen. Kaum ein anderes Fahrzeug hat derart Geschichte geschrieben und das italienische Dolce Vita verkörpert. Produziert wird der Kultroller in Pontedera bei Pisa, wo das Piaggio-Museum seine Erfolgsgeschichte präsentiert: Vom Roller der ersten Stunde über Speed- und Militärausführungen bis hin zu neuesten Entwicklungen wie der E-Vespa, die 2018 auf den Markt kam, ist hier alles vertreten.
Vespa-Werbeplakate aus 70 Jahren gibt es hier zu bewundern.
Mit Speck fängt man Gourmets
Es ist nur Fett, aber was für welches! Der schneeweiße Speck wird in hauchdünne Scheiben geschnitten oder als Crema auf knusprigem Bruschettabrot gegessen. Wenn der Lardo di Colonnata dann butterzart und samtig auf der Zunge zergeht, sind Gourmets im siebten Himmel. Im Norden der Toskana, wo der berühmte Carrara-Marmor gewonnen wird, entwickelte sich die Tradition, Speck in Becken aus porösem Marmor zu lagern. Früher ein Arme-Leute-Essen, gilt er heute als Delikatesse. Der Speck stammt von besonderen Schweinerassen und wird mit Meersalz, Bergkräutern und ausgesuchten Gewürzen eingerieben. Mindestens sechs Monate reift er in großen Marmorbecken, bevor er dann Feinschmecker um den Verstand bringt. Hergestellt wird der Lardo die Colonnata im gleichnamigen Bergdorf von nur einem Dutzend „lardaioli“ – sein Name ist EU-weit geschützt.
Alter Wein in neuen Gütern
Rubinrot funkelt der Chianti in seinem Glas – Wein ist nicht nur für den Gaumen, sondern auch optisch ein Genuss. Und das gilt in der Toskana immer mehr auch für die Weingüter selbst. Das Weingut Petra nordwestlich von Grosseto wurde von Stararchitekt Mario Botta errichtet, eine große Freitreppe führt auf das Dach des Ensembles, wo sich dem Besucher atemberaubende Blicke über die Weinberge bis zum Tyrrhenischen Meer eröffnen. Das Weingut Rocca di Frassinello hat Renzo Piano, der den Wolkenkratzer The Shard in London entworfen hat, für einen Neubau engagiert. Die Weinfässer werden hier wie in einem Amphitheater gelagert, in dessen Mitte Feinschmecker zur Weinprobe geladen werden. Oder das moderne Weingut Antinori nel Chianti Classico: Gebaut vom Büro Archea Associati schmiegt es sich mit seiner begrünten Dachlandschaft in die Weinberge, als wäre es schon immer hier gewesen.
Sì, ich will!
Kim Kardashian hat es getan. Ebenso George Clooney. Und auch Bastian Schweinsteiger. Die drei Promis haben ihre Auserwählten in Italien geheiratet, das in Zeiten, in denen man noch groß feiern durfte, einen wahren Boom als Trendziel für Hochzeiten erlebt hat. Ganz vorne mit dabei: natürlich Venedig – und die Toskana, die mit ihren Hügellandschaften und Weingütern für viele Paare die perfekte Kulisse für ihr Jawort liefert. Wer sich Pomp und Palazzo wünscht, ist in Florenz an der richtigen Adresse. Doch der Geldbeutel muss mitunter die entsprechende Größe haben: So bezahlten angeblich Kim Kardashian und (Noch-)Gatte Kanye West allein für ihre Florentiner Location schon 300.000 Euro Miete. Ein Garant für die ewige Liebe war diese stolze Summe zwar leider nicht, aber immerhin befanden sich die beiden bei ihrer Hochzeit in bester Gesellschaft: Denn das Forte di Belvedere wurde von den Renaissance-Influencern überhaupt erbaut – den Medici.
La dolce vita für zuhause
Wer bei der Fattoria La Vialla Wein, Olivenöl oder Pasta ordert, fühlt sich wie ein Teil der Familie Lo Franco, die seit über 40 Jahren den Demeter-Hof in der Nähe von Arezzo betreibt. Inzwischen haben die drei Söhne
Gianni, Antonio und Bandino die Führung übernommen – und wissen ganz genau, wie sie die Sehnsucht ihrer europaweiten Kundschaft nach dem guten alten Landleben in der Toskana stillen: Essen wie von Mamma selbstgekocht, Kataloge wie von Hand geschrieben, Bestellungen wie persönliche Geschenke verpackt. Wer mag, kann die Fattoria auch besuchen und in einem der Landhäuser übernachten. Selbst auf Online-Bewertungen antworten die Lo Francos persönlich – immer mit den besten Grüßen der Familie. Doch hinter dem gut gemachten Marketing steckt auch Qualität. Vor allem die Weine der Fattoria heimsen einen Preis nach dem anderen ein. Und mehr noch: Der Betrieb ist als klimapositiv zertifiziert, kompensiert also mehr Treibhausgase als er verursacht, und diente bereits 2009 auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen als Musterbeispiel für nachhaltige Landwirtschaft.
Verbote verboten
„Gehorsam ist keine Tugend“, findet der französische Street-Art-Künstler Clet. Somit ist es nicht verwunderlich, dass er es auf Verkehrsschilder abgesehen hat und ihnen mit selbstkreierten Stickern einen neuen Sinn verleiht. So wird der weiße Balken auf dem roten „Durchfahrt verboten“-Schild zur Eisfläche, auf dem ein Schlittschuhläufer seine Bahnen zieht. Und das „Vorfahrt achten“-Schild verwandelt sich in eine weiße Friedenstaube. Die meisten von Clets Werken sind in Florenz zu finden, wo er lebt und ein Atelier besitzt. Doch auch in Metropolen wie Berlin, London oder Paris hat er sich schon ausgetobt. Für seine Fans hat der 54-Jährige sogar eine App entwickeln lassen: Wer ein von Clet verändertes Schild entdeckt, kann ein Foto davon hochladen und bekommt dafür – passend zum Thema Straßenverkehr – Punkte.
Clet selbst macht natürlich auch Fotos: https://www.instagram.com/cletabraham/
Digitale Kritzeleien
„Ich war hier.“ Manche Touristen fühlen einen unwiderstehlichen Drang, sich auf Sehenswürdigkeiten zu verewigen – ein Phänomen, mit dem auch Florenz lange zu kämpfen hatte. Doch während der Restaurierungsarbeiten am weltberühmten Dom wurde es den Verantwortlichen im wahrsten Sinne des Wortes zu bunt: Mit „Autography“ starteten sie 2016 ein bis dato einzigartiges Projekt, bei dem die Besucher weiterhin auf die alten Mauern kritzeln konnten – und zwar digital. Wen es in den Fingern juckte, konnte an drei Tablet-Stationen aus verschiedenen Pinseln, Spraydosen und Hintergründen wählen, das Gebäude via Touchscreen virtuell bemalen und das Ergebnis später sogar online betrachten. Tatsächlich war die Aktion so erfolgreich, dass allein in der ersten Woche 700 Touristen ihren digitalen Gruß hinterließen und die Mauern des Doms seitdem blitzblank blieben.
Eine neue Herausforderung gibt es nun allerdings: Seit Juni 2020 legen die Tablets aufgrund von Corona-Hygienemaßnahmen eine Pause ein …