Tourismuskrise weltweit – „Ein Tropfen auf den heißen Stein“
Unsere kleine Weltreise auf den Spuren der Tourismuskrise beginnt in Sri Lanka. Ruwan Jayasekera arbeitet seit 28 Jahren als Reiseleiter für Studiosus und Marco Polo. Wann war er zum letzten Mal im Einsatz? „Das war im April 2019“, erinnert er sich. „Es war eine FamilienStudienreise, die ausgerechnet zur Zeit der Ostersonntags-Anschläge stattfand. Die brutalen Angriffe brachten den Tourismus auf Sri Lanka praktisch komplett zum Erliegen. Alle hofften auf das Jahr 2020, aber da machte uns die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung.“
Sri Lanka: Vom Reiseleiter zum Gewürzhändler
Also über zwei Jahre keine Reiseleitung. Wie ist es Ruwan Jayasekera in dieser Zeit ergangen? „Anders als in Deutschland gibt es in Sri Lanka keine Arbeitslosenunterstützung. Wer seinen Job verliert, ist auf die Hilfe seiner Familie und Freunde angewiesen und muss schnell wieder eine neue Einnahmequelle finden. Der Staat hat zwar Reiseleiter wie mich in der Pandemie mit einer Einmalzahlung von 20.000 Rupien, das sind umgerechnet rund 80 Euro unterstützt, aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ich musste beruflich erst einmal umsatteln.“ Jayasekera und seine Frau begannen, Marmeladen und Gewürze zu produzieren. Sie verkaufen die Produkte einerseits vor Ort, andererseits versucht Jayasekera, seine Kontakte in alle Welt zu nutzen, um sie auch zu exportieren. „Meine Freunde in Großbritannien, Deutschland und anderen Ländern kaufen mir zwar schon etwas ab, aber so ein richtiger Exporthandel ist das noch nicht.“ Die Jayasekeras mussten daher ihre Ersparnisse angreifen – vor allem, um das Schulgeld für ihre beiden Kinder zu bezahlen, denen sie auf einer internationalen Schule gute Startbedingungen ins Leben bieten wollen. „Lange wäre das aber nicht mehr gegangen. Darum bin ich sehr froh, dass ich jetzt für einen früheren Arbeitgeber von mir, Walker Tours, die größte Incoming-Agentur Sri Lankas, als Consultant für Ökotourismus arbeiten kann.“
Darüber hinaus hat Jayasekera auch noch andere Projekte am Laufen: Er berät ein Hotel bei der Einführung von Wellness-Angeboten, arbeitet mit einer Wissenschaftlerin an der Rettung seltener und nur in Sri Lanka heimischer Katzen – und nicht zuletzt hat er an der Universität Colombo ein Studium über Ökotourismus begonnen. „Mir geht es noch vergleichsweise gut. Aber ein Freund von mir, der früher Finanzmanager eines Hotels in Galle war, verlor ebenfalls seine Arbeit, bekam deutlich weniger Unterstützung vom Staat als ich und verkauft heute Gemüse am Straßenrand.“
Costa Rica: Löchriges soziales Netz
Wie sieht es 17.000 Kilometer entfernt, im mittelamerikanischen Costa Rica, mit der Unterstützung in der Krise aus? Gibt es hier ein soziales Netz, das Arbeitslose aus der Tourismusbranche auffängt? „Die Antwort lautet kurz und bündig: nein!“, sagt Wolfgang Spelitz, Inhaber der Amadeus Travel Agency in Costa Rica. „Es gibt kein Arbeitslosengeld, aber meine Angestellten erhielten vom Staat immerhin zweimal eine kleine Unterstützung von jeweils 150 US-Dollar. Außerdem ist gesetzlich festgelegt, dass man als Unternehmer seine Angestellten in Kurzarbeit weiterbeschäftigen kann – allerdings erhalten sie dann nur das entsprechend gekürzte Gehalt. Meine Mitarbeiter arbeiten im Moment drei Stunden am Tag, glücklicherweise musste ich niemanden entlassen. Mir ist das sehr wichtig. Wir haben viele gute Jahre zusammen erlebt, da ist man es als Unternehmer seinen Mitarbeitern schuldig, dass man sie in schlechten Zeiten unterstützt, wo es nur geht.“ Allerdings kennt er auch Fälle, wo sich Hotels von Mitarbeitern getrennt hätten. Der internationale Tourismus sei im letzten Jahr in Costa Rica praktisch komplett zusammengebrochen. Der nationale Tourismus aber habe die meisten Hotels gerettet.
Familie Bello hilft sich selbst
„Außerdem muss man sehen, dass der Wegfall des internationalen Tourismus nicht nur Hotels, Reiseleiter und Busunternehmer trifft, sondern auch Restaurants, Händler auf den Märkten oder Förderprojekte und Familien, die beispielsweise von Studiosus-Gruppen besucht wurden“, gibt Wolfgang Spelitz zu bedenken. So wie zum Beispiel Familie Bello. Studiosus-Gäste besuchten die Biobauern auf ihrer Ökofarm auf jeder NaturStudienreise in Costa Rica. Sie wurden in die Geheimnisse des Kaffeeanbaus eingeweiht, durften die eine oder andere Tasse Kaffee probieren und mittags gab es einen Snack mit Köstlichkeiten aus dem Garten. „Für die Familie war das ein willkommenes Zusatzeinkommen. Jetzt, wo keine Reisegruppen mehr im Land sind, hat die Familie ein kleines Restaurant für Einheimische eröffnet, um besser über die Runden zu kommen“, berichtet Spelitz. „Aber es geht ihnen zum Glück nicht schlecht. Im Grunde sind sie Selbstversorger mit ein paar Schweinen, Kühen und Hühnern, Gemüse und Salat im Garten – und natürlich jeder Menge Kaffee!“
Gedeckeltes Kurzarbeitergeld in Italien
Dritte Station unserer Tour auf den Spuren der Tourismuskrise ist Italien. Hier berichtet uns Irene Vezzosi, Direktorin des Hotels mh Florence & Spa in Florenz, mit dem Studiosus eng zusammenarbeitet, wie es ihr in der Pandemie ergeht. „Unser Hotel war vom 18. März bis 12. Juni 2020 komplett geschlossen. In dieser Zeit war ich in Kurzarbeit und habe meine freie Zeit dazu genutzt, mich beruflich fortzubilden. Das Kurzarbeitergeld in Italien beträgt 80 Prozent des Gehalts, allerdings mit einem Deckel bei 1150 €, wodurch höhere Einkommensgruppen relativ starke Einkommenseinbußen hinnehmen müssen“, erklärt sie. Der Umsatzrückgang des Hotels lag 2020 bei 56 Prozent im Vergleich zu 2019. Mitarbeiter mussten nicht entlassen werden, allerdings konnte das Hotel nicht wie sonst im Frühjahr und Sommer üblich Aushilfskräfte beschäftigen. Und zwei Mitarbeiter hätten von sich aus gekündigt, um Arbeit in anderen Wirtschaftsbereichen zu suchen. „Die Hotelbranche in Florenz hat insgesamt einen Umsatzrückgang von über 80 Prozent erlitten. Von der Krise betroffen sind auch Restaurants im Zentrum, Museen, Reiseleiter und einige Incoming-Agenturen. Eine, mit der wir einen jahrelangen Vertrag hatten, musste jetzt sogar endgültig schließen.“
Naturschutz in Gefahr
Doch nicht nur die Menschen leiden unter der Tourismuskrise. Auch der Schutz der Natur ist gefährdet, weiß Martina von Münchhausen, Tourismusexpertin des WWF Deutschland in Berlin. „Jetzt, wo der Tourismus aufgrund der Corona-Pandemie weltweit eingebrochen ist, wird deutlich, welche immense Bedeutung er für den Natur- und Artenschutz hat“, sagt sie. Vor allem für die ärmeren Länder sei das eine Katastrophe. Denn wenn die Touristen ausblieben, drohen die Erfolge jahrelanger Naturschutzarbeit zunichte gemacht zu werden. Die Eintrittsgelder für Schutzgebiete und Nationalparks fallen weg, Wildhüter können nicht mehr bezahlt werden, Einnahmen aus gemeindebasiertem Tourismus brechen ein. Als Beispiele nennt von Münchhausen WWF-Naturschutzprojekte im Caprivi-Streifen in Namibia, Gorilla-Schutzprojekte in der Zentralafrikanischen Republik oder Projekte zum Schutz von Walhaien auf den Philippinen und an der Westküste Mexikos. Ihr Fazit: „Die Krise hat gezeigt, dass gut gemachter, nachhaltiger Tourismus mittlerweile ein unverzichtbarer Teil von Umweltschutzbestrebungen in aller Welt geworden ist.“
Neustart mit mehr Nachhaltigkeit
Die aufgeführten Beispiele, denen Hunderttausende hinzugefügt werden könnten, zeigen, dass Tourismus in den letzten Jahrzehnten weltweit eine tragende Säule geworden ist – für den Wohlstand der Menschen, für die Entwicklung ärmerer Länder und nicht zuletzt für den Naturschutz. Dabei wird in Zukunft, wenn der internationale Tourismus wieder anläuft, besonders dem nachhaltigen Reisen große Bedeutung zukommen. Davon sind alle Interviewpartner überzeugt. „Wenn der Tourismus wieder losgeht, muss man darauf achten, dass er nachhaltiger ist als zuvor, dass er den Menschen vor Ort stärker zugutekommt und dass die Einnahmen aus dem Tourismus in höherem Maße für die Bewahrung der Kultur und Natur ausgegeben werden“, fordert Ruwan Jayasekera aus Sri Lanka. Dem kann auch Wolfgang Spelitz zustimmen: Seine Agentur hat sich schon 2012 zertifizieren lassen und darf seither mit fünf grünen Blättern werben – dem höchsten in Costa Rica zu vergebenden Standard für nachhaltiges Reisen.
Außerdem wissenswert
Wie stark die Tourismuskrise einzelne Länder trifft, lässt sich abschätzen, wenn man den Beitrag der Tourismusbranche zur Beschäftigung betrachtet. Eine entsprechende Statistik für die Jahre 2018 und 2019 findet sich auf statista.com. Demnach hängen zum Beispiel über 90 Prozent der Arbeitsplätze im karibischen Inselstaat Antigua und Barbuda direkt oder indirekt vom Tourismus ab, auf den Malediven sind es etwas mehr als die Hälfte, in Thailand rund 16 Prozent, in Italien und Spanien knapp 15 Prozent. In Deutschland liegt der Wert bei 12 Prozent.
Ein dreieinhalbminütiger Film des DRV auf YouTube zeigt die fatalen Auswirkungen der Tourismuskrise in verschiedenen Ländern auf. Zu Wort kommen Betroffene aus Sri Lanka, Uganda, Italien, Namibia, Peru und Tansania.
Das gesamte Interview mit Martina von Münchhausen vom WWF Deutschland zu „Tourismuskrise und Naturschutz“ lesen Sie im Studiosus-Online-Magazin.