Sonnige Aussichten
Über holprige Pisten kämpft sich Jaouad mit seinem Dacia durch den Hohen Atlas, hinauf zum Bergdorf Tadrart. Doch bald gibt es selbst für den Geländewagen kein Weiterkommen mehr – die starken Regenfälle der letzten Tage haben Geröll auf die ohnehin schlechte Straße gespült. Einige Bergbauern versuchen, den Weg mit bloßen Händen freizugraben. Sie erwarten den jungen Installateur aus Ouarzazate schließlich seit Wochen und wollen auf keinen Fall, dass er unverrichteter Dinge umdreht. Im Gepäck hat Jaouad Solarpanele und Batterien, die den in dieser Abgeschiedenheit lebenden Menschen Strom bringen sollen.
Seit 2009 setzt Marokko auf erneuerbare Energien: Wasser- und Windkraft und zunehmend auch auf Sonnenenergie. Für letztere ist das Land besonders prädestiniert, denn es liegt in einem Gebiet mit extrem hoher Sonneneinstrahlung, im sogenannten Solargürtel. Dieser umrundet den ganzen Globus und verläuft unter anderem durch Marokko. Mit jährlich über 2500 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr ist die Strahlungsintensität der Sonne hier mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.
Die Solarthermiekraftwerke in Marokko sind ein Vorzeigeprojekt für ganz Afrika und werden von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gefördert, die im Auftrag der Bundesregierung unter anderem weltweit Entwicklungsprojekte finanziert. „Es handelt sich hierbei allerdings nicht um Entwicklungshilfe“, betont Markus Faschina, Leiter des KfW- Regionalbüros in Rabat. „Es ist vielmehr eine Partnerschaft auf höchstem Niveau. Wir unterstützen finanziell und mit Technologietransfer und können uns gleichzeitig vieles für die Energiewende in Deutschland abschauen.“
Die günstigen geographischen Voraussetzungen seien das eine, meint Faschina. „Das andere ist die Energiepolitik des Landes, die vom König höchstpersönlich forciert wird. Marokko hat weder Öl noch Gas. Um nicht länger vom Import fossiler Energieträger abhängig zu sein, hat Mohammad VI. schon vor einigen Jahren die Energiewende eingeleitet.“
Zunächst will Marokko die eigene Nachfrage befriedigen, langfristig seinen Ökostrom aber auch nach Europa exportieren. Einer Studie des Europäischen Fachverbands für Solarthermie (ESTELA) zufolge würden bereits 0,4 Prozent der Sahara-Fläche ausreichen, um den gesamten Strombedarf Europas aus Sonnenenergie zu decken. Die dazu notwendige Leitung durch die Straße von Gibraltar gibt es bereits.
Besonders beeindruckend findet Faschina, wie konsequent die Politik den Solarplan umsetzt und wie weit die Speichertechnologie hier fortgeschritten ist. „Marokko nimmt eine absolute Vorreiterrolle ein. Bis dato hat kein Land einen ähnlich großen Solarkomplex mit verschiedenen Technologien an einem Standort realisiert.“ Bahnbrechend seien dabei nicht nur die Stromerzeugung, sondern vor allem die thermischen Speicher, mit denen Marokko seine Bevölkerung rund um die Uhr mit Strom versorgen könne. Tausende Parabolspiegel erhitzen spezielles flüssiges Salz, das die Wärme bis zu acht Stunden speichern kann. Der größte Kraftwerkkomplex weltweit, die drei Solarthermiekraftwerke Noor I bis III sowie die Photovoltaikanlage Noor IV bei Ouarzazate, soll den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf 42 Prozent, ein weiteres Jahrzehnt später gar auf 52 Prozent hochschrauben. Ein zusätzlicher, noch größerer Standort ist ab 2020 bei Midelt geplant. „Mit solchen bemerkenswerten Großprojekten“, bestätigt Faschina, „rücken diese ambitionierten Ziele in greifbare Nähe.“
Jaouads Solarprojekte sind wesentlich bescheidener, aber für die abgelegenen Dörfer bedeuten sie nicht weniger als den Anbruch eines neuen Zeitalters. Weil die Straße trotz vereinter Kräfte unpassierbar bleibt, organisieren die Bergbauern eine Eselkarawane, die den Weitertransport der Solarpanele übernimmt. Nach über einer Stunde Fußmarsch beginnt der Installateur mit seiner eigentlichen Arbeit. „Nicht die Montage, sondern die beschwerliche Anreise ist das Problem“, erklärt Jaouad, während er ein Loch durch die Außenwand eines Lehmhauses bohrt, das Kabel durchsteckt und innen um einen Dachbalken wickelt. Die Ästhetik spielt keine Rolle, Hauptsache, das Licht funktioniert. „Im Winter hat der Wind, der durch die Fenster pfeift, ständig unsere Kerzen ausgeblasen“, sagt der Hausherr. „Zum Glück sind solche Zustände die Ausnahme“, relativiert Markus Faschina. „Dank der Energiewende sind mittlerweile 99,9 Prozent der Haushalte mit Strom und Wasser versorgt. Ausnahmen bilden lediglich extrem abgeschieden liegende Dörfer wie Tadrart.“
Alle Familienmitglieder umringen Jaouad, als er die nackte Glühbirne, die in der Wohnküche von dem Holzbalken baumelt, zum Leuchten bringt. Die neue Errungenschaft feiern sie mit einer Tasse Tee. Der 28-Jährige lächelt zufrieden: „Wenn ich all die glücklichen Gesichter sehe, dann lohnen sich die Strapazen der Anfahrt auf jeden Fall!“ Auch finanziell lohnt sich für den Solarinstallateur, der in Ouarzazate geboren ist, die Energiewende. „Bevor Noor I bis IV gebaut wurden, gab es kaum Arbeit für uns junge Leute“, sagt er. „Ein bisschen Tourismus und hin und wieder Jobs in der Filmindustrie, wenn hier gedreht wurde. Es war aber nichts, womit ich meine Familie ernähren konnte.“ Heute leitet Jaouad ein kleines Unternehmen in seiner Heimatstadt. Zusammen mit vier Angestellten verkauft, montiert und wartet er Solaranlagen.
Umgerechnet 400 Euro müssen die Bergbauern von Tadrart pro Solarpanel, Batterie und Montage bezahlen – eine enorme Summe, die die Familien nur aufbringen können, weil auf ihren Feldern eine Kostbarkeit gedeiht: kleinwüchsige violette Krokusse, aus denen sie Safran gewinnen. Das Gewürz gilt als das teuerste der Welt und wurde bereits in der Antike mit Gold aufgewogen. In mühsamer Handarbeit pflücken die Bauern die dunkelroten, hauchdünnen Stempelfäden, 250.000 für ein Kilogramm. „Wir können nur einmal im Jahr Safran ernten“, sagt der Bauer. „Zum Glück war der Ertrag letztes Mal gut, so dass wir Geld für die Solaranlage beiseitelegen konnten.“ Ihren kargen Lebensunterhalt verdienen sie im restlichen Jahr mit Viehzucht, manchmal verkaufen sie auch Honig und Olivenöl.
Die Luft flirrt in der Hitze über der roten Geröllwüste, als Jaouad zurück nach Ouarzazate fährt. Einer Fata Morgana gleich tauchen das 240 Meter hohe Solarturmkraftwerk Noor III sowie Tausende Sonnenkollektoren am Horizont auf, die zu Noor I und II gehören. Deren gesamte Spiegelfläche beträgt über eine Million Quadratmeter. Nur wenn die Spiegel blitzblank sind, erzielen sie ihre optimale Wirkung. "Ein Freund von mir kümmert sich darum, dass die Spiegel sauber sind“, erzählt Jaouad. „Nachts fährt er mit seinen Kollegen in Spezialfahrzeugen durch die Spiegelfelder, um sie zu polieren. Nach drei Wochen sind sie durch, dann fangen sie wieder von vorne an.“
Nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern auch die Infrastruktur hat sich in und um Ouarzazate seit dem Bau des gigantischen Kraftwerkes verbessert. „Die Regierung hat die Moroccan Agency for Solar Energy MASEN beauftragt, sich auch um die ländliche Entwicklung zu kümmern und den Bedarf der Einheimischen abzufragen“, sagt Faschina. „Es werden zum Beispiel Schulen und Straßen gebaut und Workshops angeboten, wie die Bauern ihre Felder effizienter bewässern können.“ Nur eine von vielen kleinen Erfolgsgeschichten ist die Installation einer Solaranlage auf dem Dach der Gemeindepumpstation von Tamesluht, einem Ort in der Nähe von Marrakesch. Traditionell pumpen Diesel- oder Gasgeneratoren das Wasser aus den Brunnen, jetzt werden die Pumpen mit Sonnenkraft betrieben. Die Einwohner sind begeistert, denn die Kosten für einen Kubikmeter Wasser haben sich seitdem halbiert.
Die Marokkaner erfüllt die Energiewende mit großem Stolz. „Ganz Afrika sieht voller Respekt auf unsere Kraftwerke“, meint Jaouad. „Wir sind auf dem Sprung in die Zukunft.“ Auch Markus Faschina erlebt eine überschwängliche Euphorie bei den Einheimischen. „Die Hoffnungen sind sehr hoch. Dabei besteht die Bedeutung der Ouarzazate-Kraftwerke für die Menschen vor Ort nicht nur darin, dass jährlich 800.000 Tonnen CO2 eingespart werden können. Vielmehr bringen sie auch Arbeit und Wohlstand in die Region.“ Diesen bescheidenen Wohlstand erleben auch die Bergbauernfamilien in Tadrat, seit Jaouad ihnen auf Eseln die Zukunftsenergie ins Haus gebracht hat.
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„Die Menschen setzen all ihre Hoffnungen in die neuen Kraftwerke. Man muss aber ganz klar sagen: Die erneuerbare Energie kann nicht alle Probleme des Landes lösen. Gesundheit, Bildung und Arbeitslosigkeit bleiben die großen Herausforderungen für die Zukunft.“ Markus Faschina (Foto).
130 Kilometer südlich von Marrakesch, auf einem Hochplateau zwischen den Gebirgsketten des Hohen und des Kleinen Atlas am Rande der Sahara, baut Marokko das größte solarthermische Kraftwerk der Welt, Noor genannt (arabisch für Licht), immer weiter aus.
Die Projekte in Ouarzazate und Midelt bedeuten nicht, dass es in Marokko jetzt nur noch erneuerbare Energien gibt. Nach der Jahrtausendwende wurde das Kraftwerk Jorf Lasfar in Betrieb genommen – ein gigantisches Kohlekraftwerk in der Hafenstadt El Jadida. Es deckt ca. ein Drittel des Strombedarfs in Marokko.
Basierend auf der Idee, Strom in der Wüste zu erzeugen, wurde Anfang 2009 die Desertec-Stiftung gegründet. Namhafte Unternehmen wie RWE, E.on, Siemens, die Deutsche Bank und ABB beteiligten sich daran. Doch schon bald kam es zum Streit: Sollte der Strom in erster Linie nach Europa exportiert werden? Oder sollten erst einmal die Menschen vor Ort versorgt werden? Marokko überließ die Entscheidung nicht ausländischen Investoren, sondern gab den Weg vor: Erst Marokko, dann Europa.