Land & Leute
Späte Berufung
Zarte 70 Jahre ist die Isländerin Sigrídur Níelsdóttir alt, als sie ihre Liebe zur elektronischen Musik entdeckt. In ihrem Wohnzimmer fängt sie an, Lieder für ihre Familie zu komponieren und zu produzieren. Keyboard, Küchenutensilien, Spielzeug: Alles, was Sigrídur findet, kommt zum Einsatz. Als sie 2011 mit 81 Jahren stirbt, hinterlässt sie nicht nur mehr als 600 Lieder und 59 Alben – sondern auch eine riesige Fangemeinde, darunter Björk und andere bekannte Künstler. Bis heute hat „Grandma Lo-Fi“, wie Sigrídur inzwischen genannt wird, in Island Kultstatus.
Einen Einblick in Sigrídurs Leben gewährt übrigens der liebevoll gestaltete Dokumentarfilm „Grandma Lo-Fi: The Basement Tapes of Sigrídur Níelsdóttir”: https://vimeo.com/ondemand/grandmalofi
Verhinderter ESC-Gewinner?
Russell Crowe war begeistert, Jan Böhmermann sowieso, und auch die Wettquoten der Buchmacher klangen vielversprechend: Schon vor dem European Song Contest 2020 hatte Islands Kandidat Dadi Freyr mit seinem Nerd-Charme und seinem Beitrag „Think about things“ wohl allerbeste Chancen auf den Sieg – Social Media sei Dank. Das Netz feierte den Ohrwurm und das dazugehörige schräge Video, das es bei YouTube bis dato auf über 14 Millionen Aufrufe gebracht hat. Doch dann kam Corona, der ESC fiel ins Wasser. Dadi Freyr, der übrigens in Berlin lebt, kann sich trotzdem als Gewinner fühlen: Sein Song stieg in die Charts ein, und auch eine Europa-Tour für den Herbst hat der 28-jährige Musiker schon geplant – die ersten Termine sind bereits ausverkauft.
Kurz mal mitwippen? Geht in vier Minuten bei YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=VFZNvj-HfBU
Haltung zeigen
Es ist kein Zufall, dass ein Teil der Skólavördustígur, einer von Reykjaviks wichtigsten Einkaufsstraßen, in sechs Farben getaucht ist: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett leuchten auf dem Boden – die Farben des Regenbogens und der LGBTIQ-Community. Island ist stolz auf seine tolerante und offene Gesellschaft, und zeigt das auch gerne mal dem einen oder anderen Staatsgast. Als der erzkonservative US-Vizepräsident Mike Pence der Insel im September 2019 einen Besuch abstattet, wird er mit Regenbogenflaggen begrüßt. Und beim Empfang tragen der isländische Präsident Gudni Jóhannesson und seine Frau Eliza Reid demonstrativ ein Regenbogenarmband. Dieses bekam übrigens auch schon Wladimir Putin zu sehen.
Der Schwur
Vor Corona hat Island rund zwei Millionen Touristen empfangen – pro Jahr. Wie man zumindest einen Teil der Besuchermassen dazu bringt, sich vorbildlich zu verhalten? Das isländische Fremdenverkehrsamt hatte da eine Idee: Am Flughafen Keflavik haben Touristen die Möglichkeit, an einem Automaten den „Isländischen Schwur“ zu leisten. Dabei geloben sie unter anderem, beim Fotografieren nicht zu sterben und ihr Geschäft nicht in der Natur zu verrichten. Sollte doch ganz einfach sein, oder?
Wer online schwören möchte, kann das hier tun: https://visiticeland.com/pledge
Ein Pulli für alle Fälle
Wenn es ein Kleidungsstück gibt, das vermutlich jede Isländerin und jeder Isländer im Schrank hat, dann ist das der Lopapeysa – der berühmte Isländerpullover. Typisch ist nicht nur das Ringmuster rund um Kragen und Schultern, sondern auch die Zutat: Die Wolle der isländischen Schafe ist leicht, warm und besonders wasserabweisend. Damit macht sie den Lopapeysa zu einem Allwetterkleidungsstück, das auch die Fischer auf ihren Kuttern im Nordatlantik gerne tragen – Funktionskleidung auf Isländisch.
Von Beruf: stark
Hafthór Júlíus Björnsson hat einen ungewöhnlichen Job: Der 31-Jährige Isländer ist Strongman. Nachdem es verletzungsbedingt mit einer Laufbahn als Basketballer nicht geklappt hat, widmet er sich nun seit rund zehn Jahren bei Wettwerben Disziplinen wie dem Steineheben oder dem Autotragen. Oder kurz: dem Starksein. 2018 krönt der Zwei-Meter-Mann seine Karriere mit dem Titel „World’s Strongest Man“. Noch berühmter wird Hafthór allerdings durch seinen Nebenjob bei „Game of Thrones“: In dem Serien-Hit spielt er den Bösewicht Gregor Clegane, genannt „Der Berg“. Selten war ein Rollenname so passend.
Gefährliche Riesinnen
Island ist das Land der Vulkane – doch zwei der insgesamt rund 130 Feuerberge stechen besonders hervor: Hekla und Katla, die beide im Süden liegen. Die Hekla ist einer der aktivsten Vulkane Islands und wurde früher als „Tor zur Hölle“ bezeichnet. Nachdem sie zuletzt 1970, 1980, 1990 und 2000 ausbrach, gilt sie als „überfällig“. Auch die Katla zählt zu den aktivsten Vulkanen der Insel – und aufgrund ihrer Lage unter einem Gletscher auch zu den gefährlichsten, da sie gewaltige Flutwellen auslösen kann. In der Vergangenheit hat eine Eruption des benachbarten kleineren Eyjafjallajökull auch bei Katla Unruhe ausgelöst, doch nach dessen Ausbruch 2010 ist es erst einmal ruhig geblieben. Damit die Isländer trotz allem ruhig schlafen können, stehen die beiden Vulkandamen und ihre Kollegen unter ständiger Beobachtung von Wissenschaftlern, denen nicht einmal die allerkleinste Regung entgeht.
Serverparadies
Islands Natur ist nicht nur schön anzusehen, sondern auch nützlich. Dank Geothermie und Wasserkraft ist Strom auf der Insel so billig wie an kaum einem anderen Ort auf der Welt. Was man mit all der Energie so anstellen kann? Zum Beispiel Server betreiben. In sogenannten Serverfarmen rattern die Rechner von internationalen Firmen rund um die Uhr, auch die Kryptowährung Bitcoin wird hier fleißig geschürft. Und damit all die Maschinen nicht heiß laufen, gibt’s die Kühlung gratis obendrauf – mit vielen Grüßen vom nordatlantischen Wetter.
Frustschreitherapie
Humor haben sie ja, die Isländer – selbst in diesen schwierigen Zeiten. So empfiehlt der nationale Verband der Schafzüchter einen Mindestabstand von zwei Schafen und die Forstverwaltung findet, dass es ungemein entspannt, einen Baum zu umarmen. Wenn das nicht hilft? Dann vielleicht so: einfach mal einen kräftigen Schrei loslassen und all die Corona-Verzweiflung in die isländische Weite hinausbrüllen. https://www.youtube.com/watch?v=7iWeMPEEuk0
Auf der Website https://lookslikeyouneediceland.com/ des isländischen Fremdenverkehrsamts können Corona-Geplagte ihren Frustschrei aufnehmen und über sieben im ganzen Land aufgestellte Lautsprecher in die Landschaft übertragen lassen. Und wenn auch das nichts bringt? Dann bleibt wahrscheinlich nur eines: Urlaub – am besten in Island.