Terrain für Outdoor-Fans
Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist Bakhmaro ein Luftkurort – der Traumlage im Kleinen Kaukasus in rund 2000 Metern Höhe sei Dank. Europäischen Vorstellungen eines Kurortes entspricht er allerdings nicht: Es gibt kaum Infrastruktur, ein paar holprige Straßen, einige hundert Holzhütten, die vor allem einheimische Familien aus der Umgebung für die Sommerfrische nutzen. Außerdem ein Hotel, sehr einfach und ohne Heizung. Die braucht die Herberge auch nicht, denn im Winter türmt sich der Schnee hier meterhoch. Dann hält sich keine Menschenseele in Bakhmaro auf. Der Ort ist für mehrere Monate von der Zivilisation abgeschnitten.
Ingo Schlutius ist begeistert von Bakhmaro – im Winter wohlgemerkt. „Ich wusste gleich, dass der Ort die perfekte Location für meine Vision ist.“ Der 45-Jährige Deutsche hat hier in den vergangenen Jahren ein Catskiing-Revier für eine internationale Klientel aufgebaut. Catskiing ist „Heliskiing für arme Leute“, behauptet man in den kanadischen Rockies gerne. Anstelle eines kostspieligen Helikopters transportiert eine Schneekatze Skifahrer in Regionen, wo es keine Lifte gibt und die Tiefschneehänge noch unberührt sind. In der beheizten, auf der Ladefläche der Pistenraupe montierten Kabine finden bis zu zehn Skifahrer samt Equipment Platz. Schon zu Sowjetzeiten gab es Pläne, in dieser Region ein Skigebiet zu erschließen – realisiert wurden sie nicht. Dabei ist das Potenzial riesig, vor allem für Tiefschneefans. „Es gibt unzählige Hänge, die perfekt geeignet und mit einer Schneekatze gut erreichbar sind“, schwärmt Schlutius. „Außerdem ist der feine Pulverschnee im Kaukasus legendär!“
Schlutius’ „Powderproject“ in Bakhmaro ist nicht für Massen von Skifahrern konzipiert. Und es lebt davon, dass die Berge so naturbelassen bleiben, wie sie sind. Dass der georgische Staat in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro in Lifte und Infrastruktur für Skifahrer investieren will, um den Skitourismus anzukurbeln, sieht Schlutius kritisch. Als Vorbild sollen europäische Skigebiete dienen – mit zig Liften und Pistenkilometern, großen Hotelanlagen und gut ausgebauten Zufahrtsstraßen. Gudauri, rund zweieinhalb Autostunden von Tiflis entfernt, ist als höchstes, bekanntestes und größtes Skigebiet das derzeitige Aushängeschild für den georgischen Skisport. Ob sich die Investitionen in den rasanten Ausbau lohnen? „Nach Gudauri kommen hauptsächlich Ausländer“, meint der Wahlschweizer und staatlich geprüfte Skilehrer. „Bis auf ein paar reiche Hauptstädter findet man kaum einheimische Skifahrer. Einen lokalen Markt halte ich aber für überlebenswichtig für die georgischen Skigebiete.“
Die Georgier sind traditionell keine Skifahrer, sondern Wanderer und Bergsteiger. Für diese Sportarten ist Georgien tatsächlich prädestiniert – fast 90 Prozent der Landesfläche sind dank des Großen und Kleinen Kaukasus gebirgig. Der WWF spricht von einer „Ökoregion der Superlative“. Vom Gletscher bis zur Halbwüste, von der Bergwiese bis zum Regenwald gäbe es hier alles, was das Herz eines Naturliebhabers begehrt. Der Kaukasus zählt zu den 25 Regionen mit der höchsten
Biodiversität weltweit, ist Heimat von 6500 Pflanzenarten, 150 Säugetierarten, 400 verschiedenen Vögeln, 80 Reptilien und 150 Fischarten.
Sehnsuchtsgipfel für Georgier und ausländische Touristen gleichermaßen ist der Kasbek, obwohl er mit 5047 Metern „nur“ der dritthöchste Berg des Kaukasus ist. Ob es an der Prometheus-Sage liegt, die sich laut griechischer Mythologie hier abgespielt hat? Am Kasbek soll nämlich Prometheus angekettet worden sein, weil er gegen den Willen der Götter das Feuer zu den Menschen gebracht hatte. Gequält wurde er von einem Adler, der jeden Tag vorbeikam, um von seiner Leber zu fressen. „Achtet also auf die Adler“, erzählen die einheimischen Bergführer gerne und grinsen, „denn als Titan ist Prometheus unsterblich und muss heute noch irgendwo da oben sein.“
„Dass er von Herakles befreit wurde, lassen sie gerne unter den Tisch fallen“, lacht Susanne aus Stuttgart, die sich zusammen mit ihrem Mann seit einer Woche im Rooms Hotel Kazbegi bei Stepantsminda für ihren Aufstieg akklimatisiert. Der georgische Multimillionär Temur Ugulava hat das sowjetische Sanatorium mit Panoramablick auf den Kasbek in ein spektakuläres Hotel aus Glas und Holz umgebaut. Das war 2012. Damals habe man ihn für verrückt erklärt, in dieser Einöde ein so großes Hotel zu eröffnen, erzählt der 50-Jährige dem Manager Magazin. Für rund 1500 Euro fliegt ein Helikopter-Shuttle gut betuchte Gäste von Tiflis zum Rooms Hotel Kazbegi. Die anderen reisen unbequemer, dafür aber deutlich abenteuerlicher über die serpentinenreiche Georgische Heerstraße an.
Touristen kommen hauptsächlich hierher, um die Gergeti-Dreifaltigkeitskirche zu besichtigen – oder um, wie Susanne und ihr Mann, Bergtouren zu unternehmen. Von Stepantsminda dauert der Aufstieg auf den Kasbek zwei bis drei Tage. Den Namen, der übersetzt „Eisgipfel“ bedeutet, verdankt der Vulkankegel seinen mit ewigem Eis bedeckten Flanken. „Technisch ist die Tour nicht so schwierig“, sagt Susanne. „Die Gletscher sind meist flach, nur der Gipfelhang ist 40 Grad steil.“ Die Bergführer warnen aber vor dem Wetter, das hier oft Kapriolen schlage.
Zusammen mit einem einheimischen Guide brechen Susanne und ihr Mann in den frühen Morgenstunden auf. Ziel der ersten Tagesetappe ist die spartanische Bethlehem-Hütte, zu Sowjetzeiten eine meteorologische Station, in rund 3600 Metern Höhe. Zum Glück schleppen Packpferde das große Gepäck: Proviant, Kocher und Kochgeschirr, Brennmaterial, Schlafsack. Denn oben auf der Hütte kümmert sich nicht etwa ein Wirt um das leibliche Wohl aller Bergsteiger – das macht jeder selbst. Nach einer Nacht auf einer harten Holzpritsche und Katzenwäsche hinter einem Bretterverschlag geht es ohne die Packtiere weiter. Um den eisbedeckten kegelförmigen Gipfel zu erreichen, umrunden die Bergsteiger den Kasbek und überqueren dabei die Grenze zu Russland. Den Stempel für den Grenzübertritt hatten sie sich zuvor bei einem Beamten in der Bethlehem-Hütte abgeholt. „Das Panorama ist einfach überwältigend“, schwärmt Susanne und kann ihr Glück kaum fassen. Denn nur selten ist der Himmel wolkenlos und gibt den Blick auf die umliegenden Vier- und Fünftausender frei.
Aus der Vogelperspektive betrachtet ist der Kaukasus ein weitgehend unberührtes Naturparadies. Doch der Schein trügt. Von Bergtouristen liegengelassener Müll zähle noch zu den geringsten Problemen, erzählt ein Ranger des Kazbegi-Nationalparks. Viel schlimmer sei die wirtschaftliche Flaute, die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam. Aus Not holzten die Menschen Wälder ab, auch die Wilderei stieg dramatisch an. „Die Chance, zum Beispiel einen Kaukasus-Leoparden im Kazbegi-Nationalpark zu sichten, ist verschwindend gering“, sagt er. „Nicht nur, weil er scheu ist, sondern weil es laut Schätzungen nur noch 40 bis 60 Exemplare geben soll.“ Die Ranger hoffen, dass die Großkatzen nur ins benachbarte Russland ausgewandert sind.
Auch Infrastrukturprojekte wie Staudämme, Fernstraßen, Öl- und Gaspipelines bedrohen Flora und Fauna, doch auf sie will die Regierung dem wirtschaftlichen Aufschwung zuliebe nicht verzichten. Die Einrichtung neuer Naturschutzgebiete und Vergrößerung bestehender wie dem Kazbegi-Nationalpark soll die Natur schützen. Geplant ist, den Anteil geschützter Fläche zeitnah auf zehn Prozent der Landesfläche zu steigern. Zum Vergleich: In Deutschland sind es lediglich 0,6 Prozent.
Zugleich setzt Georgien auf Großprojekte. Das hat auch Ingo Schlutius zu spüren bekommen. Das von „Invest in Georgia“ versprochene Grundstück für den Bau eines kleinen Hotels in Bakhmaro hat er nicht bekommen. Stattdessen erhielt ein Investor den Vorzug, der einen großen Hotelkomplex errichten will. „Alles ist abhängig vom Willen der Behörden“, stellt Schlutius nüchtern fest und zieht sich aus Bakhmaro zurück. Das lokale Team wird das Projekt allerdings fortsetzen: als Guides, Pistenraupenfahrer, Köche, Reinigungskräfte. Die Arbeit im Winter ist eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle für die einheimischen Familien. Und Schlutius selbst? „Ich befinde mich wieder im Scouting-Modus und will das nächste Pulverparadies entdecken.“ Das dürfte ihm in Georgien nicht schwerfallen.
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Wenn Georgier auf die Schönheit ihres Landes angesprochen werden, erzählen sie gerne den Gründungsmythos: Als Gott die Länder verteilte und alle Völker dafür zusammenkamen, feierten die Georgier gerade mal wieder ein Fest. Sie tranken und sangen und vergaßen ihre Verabredung mit Gott. Doch der war von ihrer Fröhlichkeit und ihrer Lebensfreude so gerührt, dass er ihnen das Gebiet schenkte, das er eigentlich für sich reserviert hatte.
Die Georgische Heerstraße ist der historische Name einer Fernstraße im Großen Kaukasus. Sie ist 213 Kilometer lang und durchquert das Gebirge zwischen Russland und Georgien. Sie erreicht Höhen von an die 2400 Metern und ist daher viele Monate tief verschneit.
Neben dem Rooms Hotel Kazbegi gibt es mittlerweile in Stepantsminda viele weitere modern designte Hotels mit viel Holz und Naturstein, z. B. das Kazbegi View, Alpine Lounge Kazbegi oder Stancia Kazbegi. Studiosus-Gäste verbringen auf der Reise „Armenien – Georgien: Klöster und Kultur im Kaukasus“ eine Nacht im Rooms Hotel in Stepantsmina – einen grandiosen Blick auf den Kasbek inklusive.