Land & Leute
Politisches Puppenspiel
Als Jugendlicher beginnt Rezo Gabriadze auf einem verlassenen Grundstück mitten in Tiflis ein Theater für seine selbstgebauten Marionetten zu bauen. Geld und Ahnung von Architektur hat er nicht, dafür Kreativität und Ausdauer. Es dauert drei Jahrzehnte, bis er sein Theater 1981 eröffnet. Jahrzehnte, die Rezo auch nutzt, um Karriere als Drehbuchautor und Filmregisseur zu machen. Heute hat das Gabriadze-Marionettentheater Kultstatus – nicht nur wegen seines skurrilen Ambientes, sondern auch als Puppentheater für Erwachsene.
Georgische Nachnamen
Was haben der Milliardär Bidsina Iwanischwili, die georgische Primaballerina Nino Ananiaschwili und der Komponist Otar Taktakischwili gemeinsam? Genau, das „schwili“ im Nachnamen. Im Georgischen bedeutet das „Kind“. Iwanischwili ist also das Kind von Iwan. Vor allem im Osten des Landes ist diese Namensendung verbreitet. Im Westen findet man öfter ein „dse“, wie bei Eduard Schewardnadse, dem einstigen sowjetischen Außenminister und späteren Präsidenten Georgiens. „Dse“ heißt auf Altgeorgisch „Sohn“.
Zeichen der Veränderung
Unter Präsident Saakaschwili wurde das Verwaltungssystem von 2004 bis 2013 reformiert – und die Architektur der öffentlichen Gebäude gleich mit. Es entstanden hypermoderne Bürgerämter, Justizgebäude, Polizei- und Grenzstationen – sie sollen ein sichtbarer Ausdruck der gesellschaftlichen Veränderungen sein. Nicht wenige Georgier finden, mit den Milliarden hätte der Staat lieber historische Gebäude und Kirchen restaurieren sollen.
Trinkkultur
Ein georgisches Sprichwort besagt, dass „der Gast von Gott geschickt wird“. Ob das der Grund ist, warum die Georgier ihre Gäste so hervorragend bewirten? Oder liegt es am Tischmeister, dem so genannten Tamada, der bei keinem festlichen Essen in Georgien fehlt? Die Rolle des Tamada übernimmt entweder der Hausherr oder ein besonders eloquenter Gast. Denn die Trinksprüche auf Gott, Georgien und die Gäste können zu geistreichen Spontangedichten ausufern. Nach jedem Trinkspruch – und davon gibt es unzählige pro Essen – lautet die Devise: austrinken. Gaumarjos – Prost!
Verschätzt – na und?
Katie Melua hat mit ihrem Song „Nine Million Bicycles“ den britischen Physiker Simon Singh auf den Plan gerufen.
Anstoß nimmt er an der Passage „We are nine billion light years from the edge“. Astronomen würden den Abstand bis zum Rand des Universums nicht schätzen, sondern präzise messen. Die gebürtige Georgierin nimmt’s gelassen und korrigiert die Zahl auf 13,7 Milliarden Lichtjahre, obwohl sich ihre Fans an der astronomischen Ungenauigkeit vermutlich wenig stören. Der Song war Meluas erster Top-Five-Hit.
Ge-Nuss auf Georgisch
Was auf keinen Fall auf einer georgischen Festtafel fehlen darf: Walnüsse. Man findet sie in Salaten, gefüllten Auberginen oder im würzigen Rindfleischeintopf. Oder in der „Wurst aus Walnüssen“ namens Tschurtschchela. Die georgische Spezialität ist übrigens keine Wurst, sondern so etwas wie ein georgischer Powerriegel. Walnüsse werden auf eine Schnur gefädelt und mit dickem Fruchtsaft überzogen.
Karrieresprung
Zum ersten Mal in der georgischen Geschichte wird 2018 eine Frau zur Präsidentin des Landes gewählt. Und das, obwohl Salome Surabischwili bis 2004 französische Staatsbürgerin war und nicht akzentfrei Georgisch spricht – wie ihre politischen Gegner bemängeln. Dafür beherrscht sie neben Georgisch und Französisch noch Russisch, Deutsch und Italienisch. Als Auswandererkind ist sie 1952 in Paris geboren und Jahrzehnte als Diplomatin für Frankreich tätig, u. a. in Tiflis. Der damalige Präsident Saakaschwili ist so beeindruckt von der Powerfrau, dass er seinen französischen Kollegen Jacques Chirac bittet, sie zu beurlauben. Warum? Weil sie die georgische Staatsbürgerschaft annehmen soll, um in seinem Kabinett Außenministerin zu werden. Doch die gegenseitige Begeisterung währt nur kurz: Surabischwili schafft sich mit ihrem proeuropäischen Kurs und Kampf gegen Korruption viele politische Feinde. Nach nur einem Jahr im Amt wird sie entlassen. Ihre Karriere endet damit keineswegs: Unterstützt vom Oppositionsbündnis „Georgischer Traum“ wird sie 2018 als unabhängige Kandidatin zum Staatsoberhaupt gewählt.
Mehr als eine Pianistin
Bereits mit fünf Jahren tritt Khatia Buniatishvilis in Georgien als Pianistin mit Orchester auf. Heute lebt sie in Paris, spricht fünf Sprachen und gibt Konzerte in aller Welt. Es gibt übrigens Kollegen, mit denen sie nicht auftritt. Der weltberühmte russische Dirigent Waleri Gergeijew, derzeit Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, gehört dazu. Es spiele keine Rolle, dass er ein Putin-Freund sei, wie sie gegenüber dem WDR betont: „Jeder kann Freund sein mit wem er will.“ Aber dass er Propaganda für Putin macht, der in Russland Menschenrechte verletzt, Gebiete in Georgien okkupiert und die Krim in der Ukraine annektiert, könne sie nicht akzeptieren: „Nicht nur, weil ich Georgierin bin, sondern weil ich eine Weltbürgerin bin.“