Land & Leute
Wie der Vater, so der Sohn
Die Liebe zur Musik ist den Balten ohnehin in die Wiege gelegt. Paavo Järvi hat es da aber besonders gut getroffen, wurde er doch 1962 als Sohn des Dirigenten Neeme Järvi in Tallinn geboren. Er studierte zunächst Dirigieren und Schlagzeug in Estland, dann in den USA, unter anderem bei Leonard Bernstein. Und jetzt ist er aus dem weltweiten Klassikbetrieb nicht mehr wegzudenken: Aktuell leitet er die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Orchestre de Paris, das NHK Symphony Orchestra Tokio und das Tonhalle Orchester Zürich. Wo seine Wiege stand, hat er aber nicht vergessen: Estland ist er als künstlerischer Berater des Estonian National Symphony Orchestra sowie des Järvi-Sommer-Festivals in Pärnu treu geblieben, das sein Vater gründete.
Im Bauch von Riga
Dort, wo einst fliegende Zigarren untergebracht waren, befindet sich heute einer der größten Märkte Europas. Grandiose Architektur trifft auf riesige kulinarische Vielfalt. Die fünf Hallen wurden in den 1920er-Jahren aus Teilen zweier alter Zeppelinhangars errichtet und wölben sich über 3000 Marktständen. Es duftet nach frischem Roggenbrot und russischen Würsten, selbstgesammelten Kräutern und bunten Blumen. Es gibt geräucherte Aale und gegrillte Neunaugen, Hanfbutter und Birkensaft, Steinpilze und lettischen Mozzarella. Selbst Zigarren kann man kaufen – auch wenn sie nicht fliegen, sondern sich nur in Rauch auflösen können ...
Zu Asche, zu Staub ...
... diese vier Worte haben die litauische Schauspielerin Severija Janusauskaite in kürzester Zeit weltberühmt gemacht. In den ersten beiden Staffeln von „Babylon Berlin“ spielt sie die russische Sängerin Swetlana Sorokina – und singt auch den Titelsong der deutschen Erfolgsserie. Das hat Millionen von Fernsehzuschauern nicht nur einen gewaltigen Ohrwurm beschert, sondern Janusauskaite auch einen Karriereschub: Mit dem „Moka Efti Orchestra“, das sie auch in der Serie begleitet, tourt sie bis zur Corona-Krise durch ausverkaufte Konzerthäuser – und das gemeinsame Debütalbum ist auch schon auf dem Markt.
Gleich einmal in „Zu Asche, zu Staub“ hineinhören? Fünfeinhalb Minuten Gänsehaut gibt es hier.
Am Weltruhm vorbeigeschrammt
Hätte Jacob Davis 68 US-Dollar in der Tasche gehabt, würde heute vielleicht eine Jacob’s-Jeans in Ihrem Kleiderschrank hängen. Doch dem lettisch-amerikanischen Schneider fehlt 1873 das Geld für die Patentierung seiner mit Nieten verstärkten Hosen. Deshalb wendet er sich an einen gewissen Levi Strauss, der das Patent für seinen Geschäftspartner und sich beantragt – der Rest ist Modegeschichte. Ein kleines Trostpflaster bleibt dem in Riga geborenen Davis immerhin: Bis zu seinem Tod im Jahr 1908 arbeitet er für die Levi Strauss Company – und wird im Unternehmen bis heute für seine Erfindung gewürdigt.
Der erste Weihnachtsbaum
Wo stand der erste Weihnachtsbaum? „In Riga“, sagen die Letten. „In Tallinn“, rufen die Esten. Die Bruderschaft der Schwarzhäupter, eine Gemeinschaft deutschstämmiger Kaufleute, so erzählt man sich in Riga, wollte 1510 der Stadt zur Wintersonnenwende eine Tanne fürs Sonnwendfeuer stiften. Doch der brennende Baum hätte womöglich die umliegenden Häuser gefährdet. Und während diskutiert wurde, was zu tun sei, verzierten Kinder die Tanne mit Stroh, Äpfeln und Wollfäden. Und voilà, da stand der erste Weihnachtsbaum! Angezweifelt wird die Geschichte in Estland. Dort soll bereits 1441 vor dem Rathaus in Tallinn eine geschmückte Tanne aufgestellt worden sein. Und nun? Vielleicht lässt sich der weihnachtliche Frieden so bewahren: Der erste Weihnachtsbaum stand im Baltikum!
Urlaub bei Wasser und Brot
In der litauischen Küstenstadt Lipaja bietet man experimentierfreudigen Touristen eine Übernachtung im ehemaligen Gefängnis an. Für 15 € gibt es eine Holzpritsche in einer Zelle und Gefängnisverpflegung. Wem das nicht hart genug ist, bucht eine „Nachtaufführung“ – und schlüpft von 21 Uhr bis 9 Uhr in die Rolle eines Häftlings. Betten machen, Kniebeugen, Essen fassen – und wehe, das klappt nicht alles auf Anhieb. Dann zeigt sich der Gefängniswärter von seiner schlechtesten Seite!
Mehr Infos zum freiwilligen Gefängnisaufenthalt gibt es hier.
Wald-Verstärker
Wie klingt ein Wald – und wie kann man diesen Klang verstärken? Das wollte eine Gruppe von Studenten der estnischen Kunstakademie wissen und installierte im September 2015 drei riesige Megaphone in den Wäldern von Vorumaa im Süden Estlands. Der Clou: Die Holzobjektive haben einen Durchmesser von jeweils drei Metern, sodass mehrere Wanderer in ihnen Platz nehmen oder, noch besser, sich hineinlegen können. Und bei einem Päuschen zwischendurch dem Zwitschern, Surren und Zirpen lauschen können.
Estlands Lady Gaga
Der Sound: chartstauglich. Der Style: extravagant. Ganz wie der US-amerikanische Superstar inszeniert sich die estnische Sängerin Kerli mal als schrille, mal als düstere Pop-Prinzessin. Zwar hat sie innerhalb der letzten zwölf Jahre nur zwei Alben veröffentlicht, doch ist sie aus der estnischen Kulturszene nicht mehr wegzudenken. Das mag auch an ihrem sozialen Engagement liegen: Wie ihre Kollegin Lady Gaga setzt sie sich für die LGBTIQ-Community ein und macht auf die Bedeutung seelischer Gesundheit aufmerksam – ein starkes Vorbild.
Humor hat Kerli auch: Hier beschreibt sie ihre estnischen Landsmänner und -frauen.